Die Sprache der Seele

Die Sprache der Seele

Er hat volles Haar, trotz seines Alters. Wann immer er das Gefühl hat, dass sein Haar zerzaust ist, schiebt er es sanft an seinen Platz zurück, denn das Haar muss in Ordnung sein, es ist, was seinen Kopf nach oben hin verschließt und nicht zulässt, dass seine endlosen Gedanken, das Geräusch von quietschenden und kreischenden Stimmen und das Geräusch von panisch herumfliegenden Vögeln sich in dem Raum auflösen, der über ihm klafft.
Er weiß, dass die Gedanken in ihrem Käfig herumflattern, also in seinem
Kopf, und wenn nur, selbst für einen Moment, das Haar nicht an seinem Platz ist, werden sie in alle Richtungen davonflattern, und der Körper, den sie verlassen, wird leer sein und sein Inhalt wird im Raum versickern, selbst in den kleinsten Zwischenräumen auf der Fläche unter seinen Füßen, egal wo er sich aufhält oder worauf er steht oder liegt, wo immer sich ein Zwischenraum findet, dorthin wird er verschwinden.

Rami Yulzari

Diese Beobachtung hat Rami Yulzari, ein Shiatsutherapeut aus Israel, sehr poetisch niedergeschrieben in einem noch nicht veröffentlichten Text „Pictures in a Treatment Room“. Sie kann uns eine erste Ahnung davon vermitteln, worum es bei der Sprache der Seele geht: Die Seelensprache gebraucht neben Worten noch viele andere Zeichen und Symbole – hier zum Beispiel eine Geste. Sie ist oft völlig unbewusst, kann aber auch bewusst gemacht und bewusst eingesetzt werden. Sie folgt nicht unbedingt der Logik von Ursache und Wirkung. Ihre Bedeutung hat viele Schichten und Facetten. Dass der Mann in seinem Alter noch so viele Haare hat, wird zunächst einmal physiologische Gründe haben. Und dass er seine Frisur immer wieder ordnet, hat vielleicht auch den Aspekt, dass ihm die Haare ins Gesicht hängen und stören oder dass er „ordentlich“ aussehen möchte. Und gleichzeitig kann diese Geste noch auf vieles andere aus dem Seelenraum des Mannes hinweisen, vielleicht seine Angst davor, den Halt zu verlieren und sich in Nichts aufzulösen. Und der „Zuhörer“ der Sprache folgt in seiner Wahrnehmung seinen eigenen Assoziationen und nimmt jeweils nur einen – vielleicht sogar verzerrten – Ausschnitt wahr von dem, was die Seele gerade zum Ausdruck bringt.

Auch wird schon hier sichtbar, dass die Sprache in zwei Richtungen wirkt. Sie bringt etwas Seelisches zum Ausdruck, hier in Form einer Geste, die auch vom Beobachter wahrgenommen und gedeutet wird. Gleichzeitig wirkt etwas Äußeres, das geordnete Haar, auf die Seele ein, bringt ihr vielleicht Sicherheit. Später wird dies an weiteren Beispielen, z.B. (inneren und äußeren) Bildern oder Musik noch deutlicher werden.

Was soll „Seele“ bedeuten in diesem Zusammenhang?

Ganze Bibliotheken füllen sich mit Abhandlungen zu diesem Thema, doch führen akademische Auseinandersetzungen uns hier wirklich weiter? Ich möchte den Begriff Seele bewusst vage lassen, weist er doch auf etwas hin, das sich scharfen Eingrenzungen entzieht.
Umgangssprachlich bedeutet „Seele“ meist die Gesamtheit der emotionalen und geistigen Vorgänge in einem Menschen. Gleichzeitig weist der Begriff oft auf eine Instanz hin, die all diesen psychischen Vorgängen zugrunde liegt, ihnen Struktur gibt und verbunden ist mit transpersonalen Bereichen, also Bereichen, die über den einzelnen Menschen hinausreichen. Lassen wir es dabei bewenden und wenden uns zunächst weiter den Ausdrucksformen des Körpers zu.

 

Körper und Seele im Wechselspiel

Wir alle kennen solche Vorgänge: Es ist früher Abend. Das zweijährige Kind, das den ganzen Nachmittag voll Energie und bester Laune war, fängt an zu quengeln. Alles ist nicht richtig, es verlangt nach etwas zu trinken, nein, kein Wasser, sondern Saft, nein, keinen Orangensaft, sondern Apfelsaft, nein, nicht aus dem Glas, aus der Tasse, der Apfelsaft schmeckt gar nicht….. Ja: Müde Menschen werden oft unleidlich.

Oder: Sie haben lange nichts gegessen. Nun müssen Sie noch einkaufen. Sie laufen ziellos durch den Supermarkt und können sich nicht entscheiden, was Sie heute Abend kochen wollen. Vielleicht packen Sie sich den Einkaufswagen wahllos randvoll mit Dingen, die Sie gar nicht brauchen und normalerweise nie kaufen würden. Ja: Unterzuckerung vermindert die Entscheidungsfähigkeit.

Oder: Ein bisher völlig gelassener Mensch entwickelt eine Überfunktion der Schilddrüse. Er wird immer ungeduldiger, reizbarer und schimpft über jede Fliege an der Wand.

An diesen Beispielen zeigt sich, wie stark körperliche Vorgänge auf das Seelenleben einwirken. Doch dies soll hier nicht unser vorrangiger Fokus sein, denn es geht uns ja um die Sprache der Seele, also die Frage, wie die Seele sich über körperliche Vorgänge zum Ausdruck bringt. Dabei wissen wir genau, wie wechselseitig und wie wenig zu trennen die Beziehungen zwischen Körper und Seele sind.
Schauen wir uns nun die Körpersprache etwas genauer an.

Schon in der Körperhaltung, in der Körperspannung und im Tempo der Bewegungen zeigt sich dem genauen Beobachter, wie es einem Menschen gerade geht. Läuft der Mensch krumm oder aufrecht? Hält er den Kopf schief, gebeugt oder hoch? Ist der Körper angespannt oder schlaff? Sind die Bewegungen schwungvoll, langsam, zügig, fahrig oder zitterig? Ist die Armhaltung verschränkt oder offen? Sitzt er breitbeinig da oder mit verschränkten Beinen?

Viele Forschungsergebnisse weisen auf die Bedeutung der Körpersprache hin. Anfang der 1970er Jahre zum Beispiel stellte der amerikanische Psychologe Albert Mehrabian die 7-38- 55-Regel auf. Sie besagt, dass nur 7% einer Information den Empfänger über die mündliche Sprache erreicht, 38% über die Qualität der Stimme und 55% über die Körpersprache. Dieses Wissen wird in Bewerbungs- und Verkaufsgesprächen, Reden, Verhören usw. oft bewusst oder auch unbewusst eingesetzt.

Ganz wichtig zu bedenken ist Folgendes: Für die Körperhaltung gilt wie für jede andere Ausdrucksform, für jedes Symbol: Die Bedeutung ist nicht eindeutig festgelegt. Zwar werden kulturübergreifend viele Körperhaltungen, Gesten, Gesichtsausdrücke oft ähnlich verstanden und haben auch genetische Komponenten, doch für den einzelnen Menschen kann einem bestimmten Körperausdruck eine ganz persönliche Bedeutung zukommen, die sich vom allgemeinen Verständnis klar unterscheidet.

So gilt es immer genau hinzuspüren und nachzufragen: Wie geht es dir, wenn du so gebeugt sitzt, wenn du so breitbeinig dastehst, wenn du denn Kopf schief hältst? Was würde diese Haltung sagen, wenn sie sprechen könnte? Versuche einmal, diese Haltung zu übertreiben. Wird etwas deutlich? Interessant kann es auch werden, wenn man versuchsweise einmal die Haltung ändert und nachspürt, ob und wie sich das auf Stimmung oder Energetik auswirkt.

Auch „Gesten sind sichtbar gewordene Gedanken,“ sagt der Pantomime Marcel Marceau. Ich würde den Satz gerne ausweiten auf Gefühle, Stimmungen und Visionen. Sie können bewusst als Signal eingesetzt werden, z.B., wenn man jemanden herbeiwinkt, oder unbeabsichtigt Informationen übermitteln, z.B. wenn jemand gähnt oder sich am Kopf kratzt.

Gesten sind stark kulturell überformt und führen leicht zu Missverständnissen. Bilden wir mit dem Daumen und dem Zeigefinger ein O, so bedeutet das in Nordamerika und auch in Deutschland „okay“, in Frankreich hingegen „null“ oder „wertlos“, in Japan ist es ein Zeichen für „Geld“. Hüten sollte man sich vor dieser Geste in Russland oder in Lateinamerika. Dort hat sie einen stark sexuellen Bezug.

Und ein und dieselbe Geste kann je nach Situation oder Person ganz Unterschiedliches zum Ausdruck bringen. Das Zurechtrücken der Haare im Beispiel oben kann insbesondere bei Frauen auch ein Flirtsignal sein oder einfach eine Abfuhr von Spannungen wie es bei kleinen Kindern das Daumenlutschen ist.

Auch zum Verständnis von Gesten trägt es bei, wenn man ihnen einmal nachspürt oder wenn man sie versuchsweise kräftig übertreibt.

Emotionspsychologen wie Paul Ekman und Carrol Izard sind sich heute weitgehend einig, dass es grundlegende Emotionen gibt, deren mimischer Ausdruck weltweit und kulturunabhängig verstanden wird. Dazu gehören Trauer, Wut, Freude, Ekel, Überraschung, Verachtung und Angst. Der Ausdruck ist genetisch verankert und braucht nicht gelernt zu werden. Dennoch gibt es auch hier kulturelle und individuelle Überformungen. Denn es ist kulturell und individuell durchaus unterschiedlich, inwieweit eine Emotion ausgedrückt oder aber maskiert wird. Und dann findet man ja auch Mischungen von mehreren Emotionen, deren Ausdruck sich gegenseitig überlagert, vermischt oder gegenseitig aufhebt.

Abbildungen zum Ausdruck grundlegender Emotionen finden sich in dem Buch „Die Emotionen des Menschen“ von Carrol Izard, das ich vor vielen Jahren übersetzt habe. Hier sind einige Beispiele:

Um einen Gesichtsausdruck zu verstehen gibt es neben der genauen Beobachtung und dem Abgleich mit bisherigen Erfahrungen auch die Möglichkeit, ihn zu kopieren, evtl. zu übertreiben und nachzuspüren, welche Emotionen sich einstellen.

Wer sich noch genauer mit dem Thema Körpersprache befassen möchte, findet interessante Artikel und Links auf folgender Webseite:
https://www.dasgehirn.info/handeln/mimik-koerpersprache/reden-ohne-worte

Auch durch die Stimme kann sich die Seele bemerkbar machen. Die gleichen Worte können eine unterschiedliche Bedeutung haben, je nach Lautstärke, Stimmlage, Geschwindigkeit, Betonung usw. Auch können ganz unterschiedliche Facetten eines Menschen zum Ausdruck kommen, je nachdem, welche Sprache er benutzt: Deutsch, Italienisch, Japanisch, Arabisch…. Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen Bedeutungsräumen, die Wörter in unterschiedlichen Sprachen erschließen, sondern auch an der Sprachmelodie und an der in der jeweiligen Sprache üblichen Lautstärke.

Dem, was sich über die Stimme zum Ausdruck bringen möchte, kann man sich zum Beispiel über das Kauderwelsch nähern: Versuchen Sie einmal, das was Sie gerade bewegt, ohne Worte in Kauderwelsch auszudrücken. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie selbst und auch Ihr Gegenüber die Bedeutung dessen, was gesagt werden will, durchaus erfassen, auch wenn die einzelnen Worte oder Sätze keinerlei Inhalt haben.

Um Ihnen einen Zugang zu dem Thema Körperempfindungen und Körpersymptome als Ausdruck der Seele zu ermöglichen, schlage ich Ihnen eine kleine Übung vor:

Machen Sie es sich bequem und denken Sie an einen beliebigen Menschen aus Ihrem Bekanntenkreis, der in Ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt. Nennen wir ihn Christoph. Zoomen Sie diesen Menschen und Situationen, die Sie mit ihm verbinden, so nah wie möglich heran. Und nun achten Sie auf das Körpergefühl, das sich bei Ihnen einstellt, sozusagen die innere Aura. Dieses Gefühl umfasst „alles über Christoph“. Wiederholen Sie diesen Vorgang mit einem anderen Menschen, vielleicht Rita. Achten Sie auch hier auf das Körpergefühl von „alles über Rita“, das bei Ihnen entsteht. Sie werden feststellen, dass es dabei nicht um eine Aneinanderreihung von einzelnen Daten geht wie Körpergröße, Augenfarbe oder Stimme, sondern dass dieses Gefühl alles umfasst, was Sie momentan bezüglich Rita oder Christoph wissen und fühlen.

Diese Übung stammt von Eugene Gendlin. Er nennt das allgemeine, umfassende Körpergefühl, welches sich zu einer Situation, einer Person oder einem Problem einstellt „Felt Sense“ und hat eine Methode entwickelt, mit diesem Körpergefühl umzugehen und als Ausdruck der Seele zu verstehen. Diese Methode der Selbstwahrnehmung nannte er Focusing.

Ganz kurz umrissen geht es beim Focusing um 6 Schritte:

  1. Einen Freiraum schaffen: Fragen Sie sich, was Sie im Leben gerade besonders beschäftigt oder prüft. Lassen Sie spontan aufsteigen was sich als erstes meldet. Sagen Sie zu sich selbst: “Ja, diese Angelegenheit gehört auch zu meinem Leben, aber für einen Moment setze ich sie erst einmal ab“. Schaffen Sie innerlich einen kleinen Abstand zwischen sich und der Angelegenheit, vielleicht indem sie sie vor ihrem inneren Auge gut sichtbar in ein Regal stellen. Gibt es mehrere Dinge, die auftauchen, verfahren Sie damit der Reihe nach genauso.
  2. Einen Felt Sense kommen lassen: Wählen Sie eine der Angelegenheiten aus, mit der Sie sich nun näher beschäftigen möchten und nehmen Sie das komplexe Körpergefühl wahr, das damit verbunden ist.
  3. Den Felt Sense beschreiben, einen „Griff“ finden: Was für ein Bild, Wort oder Satz entsteht aus diesem Körpergefühl? Oder gibt es vielleicht eine Geste oder ein Gesichtsausdruck?
  4. Genauern: Gehen Sie mit ihrer Aufmerksamkeit zwischen dem Körpergefühl und dem Bild/Wort/Satz hin und her, bis ein kleines körperliches Signal („Body Shift“) ihnen sagt, dass es genau passt.
  5. Hineinfragen: Nun lohnt es sich, direkt in den Felt Sense hinein offene Fragen zu stellen, ohne den Denkapparat großartig zu bemühen. Fragen könnten sein: „Was ist das Eigentliche an der Angelegenheit, der Situation, dem Problem….?“ „Was ist das Schlimmste daran?“
    „Was ist das Beste daran?“
    „Wenn das Gefühl/das Symptom, das Knie….. sprechen könnte, was würde es sagen?“
    „Was braucht das Gefühl/der Felt Sense?“
    „Was wäre ein guter erster Schritt?“
    Ein „Body Shift“ wird Ihnen sagen, welche Antworten aus einer tieferen Wahrheit aufgestiegen sind.
  6. Aufnehmen und tiefer werden lassen: Nun können Sie innehalten und das, was sich in dem Prozess gezeigt hat, erst einmal auf sich wirken lassen Mit welchem Bedürfnis sind Sie in Kontakt gekommen?

 

Traumtheater

Für C.G. Jung, den Begründer der analytischen Psychologie, war der Traum der Botschafter des Unbewussten schlechthin.

Welche Funktionen genau hat der Traum aus seiner Perspektive?

  • Der Traum kompensiert oder ergänzt, was im Leben nicht ausreichen vorkommt. Ein sehr friedlicher, bezogener Mensch träumt z.B. von einem Haifisch, der den Gegenpol der Aggression sichtbar werden lässt.
  • Im Traum reguliert sich die Persönlichkeit. Menschen, die am Träumen gehindert werden, sind spätestens nach drei Tagen wie „neben sich“. Wie sinnvoll es ist, mit seinen Träumen gut in Kontakt zu sein, zeigt ein Experiment am C.G. Jung Institut Los Angeles: Man untersuchte eine Gruppe von Menschen, die ihre Träume regelmäßig aufschrieben und sich ab und zu an sie erinnerten, ohne sie weiter zu deuten. Es zeigte sich, dass diese Gruppe seelisch erheblich ausgeglichener war als die Teilnehmer der Kontrollgruppe, die ihre Träume nicht aufschrieben und ihnen keine Beachtung schenkten.
  • Der Traum bildet die seelische Gesamtlage ab. Wer kämpft gerade mit wem; wer bewegt sich von A nach B; welche Prozesse finden aktuell statt?

 

Aus welchen Quellen speist sich der Traum?

  • Aus dem persönlichen Unbewussten
  • Aus dem familiären Unbewussten: Der Traum kann die Dynamik im Familiensystem
    abbilden.
  • Aus dem kollektiven Unbewussten: Menschen träumen über ihre persönliche
    Wahrheit hinaus etwas, das zum Zeitgeist passt und eine allgemeine Gültigkeit hat.
    Wie kann ich der Bedeutung eines Traumes erfassen?
    Einfache Möglichkeiten sind:
  • Den Traum aufschreiben und einfach auf sich wirken lassen
  • Freie Assoziation: Was fällt mir spontan ein zu dem Traum bzw. zu einzelnen Bildern?
  • Imagination: Den Traum neu bildhaft erleben, neu eintauchen.
  • Sich den Teil heraussuchen, in dem besonders viel Energie steckt, also der mich
    besonders berührt. Diesen genauer betrachten.
  • Identifikation: Sich in einzelne Symbole hineinversetzen, sie von innen fühlen, z.B.:
    ich als Auto/Schiff/Hans-Joachim…. Wie fühle ich mich? Was brauche ich? Wo soll es
    mit mir hingehen?
  • Energiemalerei: Sie kann besonders lohnend sein bei einem Traum oder einzelnen
    Symbol, zu dem man zunächst zu schwer Zugang bekommt.
    Vorsichtig sein sollte man meiner Meinung nach mit Symbollisten und Traumbüchern, die einem genau sagen wollen, welch Bedeutung dieses oder jenes Symbol genau hat. Bei allem Respekt vor der jahrhundertelangen Erfahrung mit vielen Symbolen: immer gilt es vor allem zu schauen: Was bedeutet dieses Symbol in diesem Augenblick für diesen einzelnen Menschen? Das kann von der kulturell überlieferten Bedeutung durchaus abweichen.

 

Im Schatten

Der Traum ist nicht der einzige Botschafter aus dem Unbewussten, dem Schattenreich, das die bewusste Wahrnehmung gerne ausblendet. Im Schatten liegen viele Bedürfnisse, Potenziale und Erfahrungen, die wir zumindest in ihrer barbarischen Form nicht annehmen wollen. Gelingt es uns aber, sie wahrzunehmen und in angemessener Form zu integrieren, gewinnen wir erheblich an Lebendigkeit. Im Schatten liegt oft, was in meinem Leben nicht ausreichend Raum hat. Sehe ich es bei anderen Menschen, regt es mich leicht auf oder aber es fasziniert mich. Häufig ist der Schatten ambivalent. Das, was ich in seiner übersteigerten Form ablehne (z.B. Rücksichtslosigkeit), fasziniert mich in seiner abgemilderten Variante (z.B. Souveränität). In jedem Fall kann es eine befreiende und vitalitätssteigernde Medizin sein, aus den Potenzialen des Schattens zu schöpfen.

Wenn man seinen Schatten annimmt ist es, als ob man von einer Zweizimmerwohnung in eine Fünfzimmerwohnung zieht.

Ken Wilber

 

Welche Wege des Schattenerforschung gibt es noch, abgesehen von der Beschäftigung mit Träumen?

  • Witze zum Beispiel bieten einen guten Zugang zum Schatten. Welche Witze erzähle ich gern? Welche lehne ich ab? Themen sind oft Sexualität, Promiskuität, Dummheit, Brutalität, Langsamkeit. Menschen, die ihre eigene Dummheit fürchten wie der Teufel das Weihwasser, erzählen zum Beispiel oft besonders gerne Witze über Ostfriesen oder Mantafahrer.
  • Eine gute Spur ist immer, dem nachzugehen, was mich an anderen Menschen berührt, sowohl sehr positiv als auch sehr negativ. Verhält sich jemand zum Beispiel besonders Raum greifend und dominant, dann kann ich das zur Kenntnis nehmen, ohne mich weiter damit zu beschäftigen. Dann ist es für mich persönlich kein Thema. Ich kann mich aber auch heftig darüber aufregen oder aber eine große Bewunderung verspüren. In diesem Fall könnte ich einmal der Frage nachgehen, ob ich mir selbst in meinem Leben ausreichend Raum nehme und auf die Bereiche Einfluss nehme, die für mich wichtig sind. Ist dem nicht so, ist es sehr wahrscheinlich, dass ich unbewusst zu dem Mittel der Projektion greife.
  • Einen besonders sensiblen Umgang erfordert die Erforschung dessen, was mir im Außen als „Schicksal“, als „sinnvolle Zufälle“ oder an als Synchronizitäten (Dinge, die gleichzeitig passieren, ohne in einem ursächlichen Zusammenhang zu stehen) entgegenkommt. Beispiel: Ich habe einen wichtiges Bewerbungsgespräch. Als ich losfahren will, ist kein Benzin mehr im Tank, dann stehe ich im Stau und schließlich finde ich keinen Parkplatz. Wenn ich dem nachgehe, kommt es einzig und allein darauf an, welche Bedeutung dieser Aneinanderreihung von Hindernissen für mich selbst stimmig erscheint, und das kann ich weniger auf logischem Weg in Erfahrung bringen als über das Bauchgefühl. Kluge Meinungen von außen können manchmal einen Hinweis bieten, oft führen sie aber auf eine falsche Fährte oder verwirren nur.

 

Kreativer Ausdruck

Gibt es weitere Möglichkeiten für die Seele, sich zu äußern? Nun, manch einer kann weniger im direkten Gespräch zum Ausdruck bringen, was ihm auf der Seele liegt, als mit Hilfe von Metaphern, Märchen oder Gedichten. Für wieder andere ist die Sprache überhaupt nicht das geeignete Medium, wohl aber die Musik, die Malerei, die Bildhauerei oder der Tanz. Und wieder gibt es hier zwei Wege der Kommunikation. Die Seele kann diese Medien nutzen, um sich zu äußern. Oder ich kann diese Kunstformen auf mich wirken lassen und dem nachspüren, was sie in mir berühren und in Bewegung bringen.

Lesen Sie doch bei Gelegenheit noch einmal eines Ihrer Lieblingsmärchen. Welche Szene oder welche Figur berührt Sie besonders? Welche ist Ihnen eher gruselig? Haben Sie Lust, sich dieser Figur für einen Moment zu identifizieren? Wie ist das so als Dornröschen oder als Rumpelstilzchen, als Jäger oder als Zwerg? Welches Bedürfnis verspüren Sie dann? Welches Thema oder Lebensmotto? Ich persönlich war immer wieder fasziniert von Rotkäppchen, das die Warnungen der Mutter in den Wind geschlagen und durchaus einmal vom Weg abgegangen ist. Oder auch vom Jäger als ordnende, fürsorgliche Figur. Übungen dieser Art können zu erhellenden Erfahrungen oder Einsichten führen.

Auf ähnliche Weise kann man Musik, Malerei oder Fotografie nutzen. Man kann sich über Musik oder Malerei ausdrücken, man kann sich aber auch fragen: welches Musikstück oder welches Bild rührt mich irgendwie an? Welche Emotionen, welche Assoziationen, welche Gedanken steigen auf?

 

Erste Schritte

Eine Vielzahl von „Dialekten“ der Seelensprache habe ich Ihnen nun vorgestellt. Manche werden Ihnen leicht zugänglich sein, andere werden Sie kaum verstehen. Und die Liste lässt sich mit Sicherheit noch erweitern und differenzieren. Wie können wir diese Dialekte sinnvoll nutzen? Mein Vorschlag ist: Machen Sie es sich zunächst einmal zur Gewohnheit, denjenigen Dialekten immer wieder genau zuzuhören, die sie bereits gut verstehen. Dem einen sagen Körperempfindungen viel, dem anderen Träume oder das Minenspiel. Schon so kann sich Ihr eigener Erfahrungsraum enorm erweitern und Sie erfassen auch schneller, was andere Menschen wirklich ausdrücken möchten. Nach und nach experimentieren Sie dann mit weiteren Dialekten, alleine oder mit Unterstützung durch einen Therapeuten.

Je besser wir der Seele zuhören können, desto klarer verstehen wir, wer wir wirklich sind, desto weniger leben wir mit unserer Alltagspersönlichkeit an unserer Seele vorbei und desto tiefer wird der Kontakt zu anderen Menschen.

Gute Gründe, der Seele und ihren Ausdrucksformen Aufmerksamkeit zu schenken. Dafür braucht es Entschleunigung und Stille.

 

Der Mensch ist immer mehr, als er von sich weiß. Er ist nicht, was er ein für allemal ist, sondern er ist ein Weg.

Karl Jaspers

 

Autorin: Barbara Murakami, Shiatsupraktikerin und -lehrerin in Düsseldorf, www.shiatsu-murakami.de

 

Sprache im Shiatsu – Die Idee von Clean Language

Sprache im Shiatsu – Die Idee von Clean Language

Shiatsu arbeitet mit unserem Körperwissen, mit unserer Intuition. Es berührt, es kann ganz klar sein und einfach. Und doch ist es schwer, das in Worte zu fassen, was es für uns bedeutet.

Shiatsu verstehen wir mit der rechten Seite des Gehirns, Sprache findet sich in der linken. Die Erfahrung von Shiatsu gehört zum Erleben des Augenblicks und ist vergleichbar mit der Wirkung von Natur, Kunst, Musik…

Im Alltag liegt der Fokus oft bei Eindeutigkeit, Struktur, Zuordnung, Benennung.

Und eine Ganzheitlichkeit finden wir da, wo wir beides berücksichtigen. Da wo sich Intellekt mit Weisheit verbindet. Da wo wir über Gefühle sprechen können und Geist, Seele und Körper zusammen gehören.

Wenn wir über unser Körperbewusstsein sprechen können, verbinden wir zwei Welten. Dann laden wir den Verstand bewusst in die Tiefe des Körpers ein, dann nehmen wir die Erfahrung aus dem Shiatsu eindeutig mit nach Hause. Mit der Sprache findet die Gedankenwelt die Tür zum Körper und die Sprache festigt unser Erlebnis.

Ich bin keine Psychotherapeutin, sondern Shiatsu-Praktikerin. Deshalb brauche ich ein einfaches Werkzeug. Einen Weg, der keine Wertung und Interpretation verlangt. Der nichts braucht als den aufmerksamen Zuhörer, der sich zurücklehnt, der den Raum hält, in dem Bewegung stattfinden kann. Eine Sprache, die kein Ziel vorgibt, sondern forscht, wertschätzend und anerkennend. Die sich traut, an Herausforderungen heranzutreten und nicht überfordert. Genau so wie eine Behandlung, die Selbstwahrnehmung und Verantwortung der Klienten stärkt.

Es ist knifflig, und es gibt viele Wege, die Sprache gut ins Shiatsu zu integrieren, sei es z.B. mit Focusing, Somatic Experiencing oder Clean Language. Ich stelle hier Clean Language vor.

 

Die Idee von Clean Language

Das Wesen von Clean Language ist es erstens Bilder und Metaphern zu fördern und zweitens diesen einen Ort zu geben.

Wenn wir Bilder in unserer Sprache benutzen, kommt unser Gefühl mit ins Boot. Wir benutzen dafür nicht nur den Kopf, sondern nehmen es im ganzen Körper wahr. In dem Moment, in dem wir es verorten, im Körper oder im Raum um uns selbst, stärken wir die Beziehung mit unserem Körper.

Das Wesen von Clean Language ist es drittens, nur die exakten Worte unserer Klientin zu verwenden. Damit bleiben wir Zuhörer, die wertschätzen und spiegeln, die nicht interpretieren, sondern den Raum geben für das, was passieren möchte.

David Grove, Psychotherapeut aus Neuseeland, hat in den Achtziger Jahren die Idee von Clean Language entwickelt. Es wurde viel daran geforscht und weiterentwickelt und in unterschiedlichste Bereiche eingeführt. Nick Pole hat es ins Shiatsu gebracht.

Clean Language ist sehr einfach strukturiert. Es gibt etwa ein Dutzend Fragen, die gestellt werden. Sie wurden entwickelt, so wertfrei und offen wie möglich zu sein. Für den Anfang reichen zwei, drei Fragen aus.

Und was für ein…?

Und ist da noch etwas über…?

Und wo ist…?

 

An einem Tag höre ich meinen kranken Sohn. Er hat sich am vorigen Abend mehrmals übergeben und sagt nun: 

– Mein Magen fühlt sich so voll an. Ich möchte so gern etwas essen und ich habe das Gefühl, es ist nur Wasser in meinem Magen.

– Möchtest du, dass ich dazu Clean Language mit dir mache?

– Ja.

– Und ist da noch etwas über deinen Magen, der sich so voll anfühlt?

– Der brodelt so. Ganz wild.

– Und wo ist das Brodeln, ganz wild?

(Er zeigt auf seine Körpermitte und macht Bewegungen mit beiden Händen nach oben und nach außen.)

– Und was für ein Brodeln, ganz wild (Ich begleite die Frage mit derselben Geste, die er gezeigt hat.)?

– Das möchte raus. 

– Und wohin möchte es raus?

(Er überlegt lange, lange.)

– Es möchte frei sein. Es soll ganz weg gehen. (Mit den Händen begleitet er das vom Rumpf horizontal nach außen in den Raum.)

(Ich gebe dem Gefühl noch mehr Zeit.)

– Und wie ist dein Magen jetzt?

– Gut, das bewegt sich.

Eine halbe Stunde später fing er an eine kleine Portion zu essen und hatte keine Magenbeschwerden mehr.

Für mich war es schön zu sehen, mit welcher Aufmerksamkeit er seine Beschwerden anerkannt hat. Und gleichzeitig hatte er die Bereitschaft, seinem Gespür für die eigenen Bedürfnisse zu trauen.

Clean Language selbst verändert hier gar nichts. Clean Language unterstützt aber die eigene Klarheit. Clean Language ist hier das Werkzeug, das hilft, zu sich selbst zu kommen und sich auf sich selbst einzulassen. Sie gibt den Raum und die innere Bewegung kann fließen.

 

Clean Language hören

Clean Language ist eine eigene Sprache, die man üben kann. Die wenigen Elemente, die sie benötigt, kennen wir alle. Die Fragen, die wir stellen können sind nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich schwer ist es nur, auf das andere zu verzichten, was wir gewohnt sind. Keinen Rat zu geben, keine Meinung zu äußern, keine neuen Ideen an unser Gegenüber heranzutragen, kein Umdenken, keinen anderen Blickwinkel zu provozieren, keine Interpretation. Und gleichzeitig wertschätzend und präsent sein. Vom Shiatsu kennen wir die Idee, einen freien leeren Raum zu halten, dass etwas von allein entstehen kann. Mit der Sprache können wir das also auch tun. Es wird sich nicht jeder Klient (gleich) darauf einlassen, und das dürfen wir respektieren.

Eine Klientin sagt: 

– Ich arbeite so viel und ich nehme immer meine Schultern nach vorn. Die sind sowieso etwas nach vorn gesunken, aber das ist zurzeit viel mehr. (Sie zeigt, wie ihre Schultern nach vorn zusammensinken.)

– Und ist da noch etwas über die Schultern, die nach vorn sinken? (Ich spiegele das nach vorn Sinken.)

– Es macht was mit meinem unteren Rücken. Da ist keine Kraft.

– Und gibt es einen Zusammenhang zwischen den Schultern, die nach vorn sinken und deinem unteren Rücken, wo keine Kraft ist?

– Ja. Ich habe keine Zeit, Sport zu machen und deshalb ist es so. Meine Schultern können sich schon öffnen! (Sie richtet sich auf.) Aber wenn ich arbeite, gehen sie wieder so. (Zusammensinken.)

– Und was möchten deine Schultern, das passiert?

– Ich weiß es nicht.

– Und was möchtest du, das passiert?

– Ich möchte, dass sie sich öffnen.

– Und was geschieht, wenn sich deine Schultern öffnen? 

– (Sie öffnet ihre Schultern und sieht dabei etwas unglücklich aus.) Keine Ahnung.

– Und dass sich deine Schultern öffnen, ist wie was?

– (Nach einem Moment lächelt sie zaghaft.) Ich habe ein inneres Bild. Soll ich es sagen?

Bisher hatte ich das Gefühl, dass wir uns mit unserem Gespräch im Kreis drehen. Die Fragen, die ich gestellt habe, haben nicht gepasst. Jetzt scheint es mir aber plötzlich anders. Als würde sie mich einladen, ihrer Welt zu folgen, die sich gerade vor ihr ausbreitet. Also sage ich:

– Ja.

– Es ist wie eine kleine Flamme in mir. (Sie hält beide Hände vor ihr Brustbein, als hätte sie in ihren Händen eine kleine Flamme, die sie vor dem Wind beschützt.) Und es ist so viel Wind von der Arbeit und dem Stress, dass ich die Flamme schütze und meine Schultern nach vorn nehme.

– (Hier wiederhole ich ihre Worte. Gebe dem Bild den Raum und lasse es in mir wirken.)

Und es ist eine kleine Flamme in dir (Ich wiederhole auch die Geste.) Und es ist so viel Wind von der Arbeit und dem Stress, dass du die Flamme schützt und deine Schultern nach vorn nimmst.

Und ist da noch etwas über so viel Wind und die Flamme schützen?

– Die Flamme braucht auch Wind und auch Sauerstoff, damit sie brennen kann. (Sie führt beide geöffneten Hände über die Rippenbögen nach oben zum Brustbein und richtet sich dabei auf.) 

– Und ist da noch etwas über die Flamme, die auch Wind braucht und auch Sauerstoff, damit sie brennen kann?

– Das ist wie das Öffnen und Schließen. (Sie öffnet und schließt langsam und mehrmals ihre Schultern und ihren Brustkorb.)

– Und kann die kleine Flamme brennen, wenn du dich öffnest und schließt?

– Ja. (Sie lächelt entspannt.)

Und was möchtest du, das geschieht?

– Ich möchte, dass diese Flamme geschützt ist und gleichmäßig brennt.

Nach der Shiatsubehandlung frage ich sie noch einmal nach dem Bild.

– Und wie ist deine kleine Flamme jetzt?

– Sie fühlt sich viel ruhiger an. Und es ist ganz gut.

– Und möchtest du dieses Bild mitnehmen?

– Ja.

Der Unterschied zwischen dem bildhaften und dem normalen Sprechen ist hier sehr klar zu erkennen. Und obwohl die Klientin schon zu Beginn mit ihrem Körper verbunden schien und sich zum Erzählen bewegt hat, sprach sie später viel mehr aus ihrem Körperempfinden heraus, Ihre Einstellung und ihre Ideen zu Ihrem körperlichen Gefühl hatten sich verändert.

 

Clean Language sprechen lernen nach Judy Rees

Hier ist eine wunderbare Anleitung von Judy Rees, Clean Language zu lernen.

1) Sie meint, man sollte zuerst Zuhören lernen ohne zu antworten. Dabei wird das Denken entspannt und die Neugierde für das Erleben und die einzigartige Welt des Gegenübers geschult. 2) Dann kann man beginnen ein paar Worte zu spiegeln. Sie einfach zu wiederholen und dem anderen zurückzugeben. Vielleicht immer die letzten zwei oder drei gesprochenen Worte oder ein Schlüsselwort, das in uns nachklingt. 

3) Als Nächstes kann man eine einzige Frage stellen: „Und was für ein…?“ oder „Und ist da noch etwas über…?“

Bis hierhin sollte es entspannt laufen.  Und erst wenn man damit Erfahrungen gesammelt hat, geübt hat, nicht seinen eigenen Beitrag ins Gespräch bringen zu müssen, und das ist wirklich nicht leicht, kann man sich einen Schritt weiter wagen und 

4) mehr als eine, also zwei Fragen stellen. Das kann mitunter für die Fragenden und für ihr Gegenüber ein bisschen unbequem sein, denn jetzt wird klar, dass es sich um eine andere Art von Gespräch handelt als sonst üblich.

Hier spürt man, ob sich die Gesprächspartnerin im Moment auf Clean Language einlassen mag. Und falls es für einen der beiden zu unbequem wird, kann man wieder in ein normales Gespräch übergehen.

5) Der nächste Schritt beim Lernen ist: Auf Metaphern/ Vergleiche / Bilder lauschen und dazu Clean Questions stellen. Wenn ein Mensch Bilder benutzt, ist, anders als bei bloßen Beschreibungen, sein ganzen Wesen involviert. Deshalb lohnt es sich, gerade hier einzusteigen. Es ist oft angenehmer, wenn wir die positiven Bilder aufgreifen. 

6) Und nun können wir die Aufmerksamkeit unserer Gesprächspartnerin auf ihr Ziel richten: „Und was möchtest du gern, das geschieht?“

 

Clean Questions nach Nick Pole

Es gibt einige geringfügig abweichende Zusammenstellungen von Clean-Language-Fragen. Sie sind auch nicht als hundertprozentig fest anzusehen und es geht viel mehr um die Einstellung beim Fragenstellen als um die korrekte Formulierung. Trotzdem sind sie mit viel Bedacht entwickelt und es könnte sinnvoll sein, sich zuerst daran zu halten. Ich stelle hier die 12 Clean Questions aus „Words that touch“ von Nick Pole vor. Für die Schlüsselworte oder Phrasen steht hier ein X (oder Y), in das man entsprechend einsetzt.

Angefangen haben wir mit der Frage nach dem 

Attribut: (X genauer betrachten und erforschen.) Und was für ein X? Und ist da noch etwas über X? 

Und mit Fragen nach dem 

Ort: (Den Körper und den Raum einbeziehen.) Und wo (genau) ist X? 

Und mit einiger Erfahrung können wir weitere Fragen mit einbeziehen:

Fokus: (Wo ist die Aufmerksamkeit, wohin geht die Aufmerksamkeit?) Und wohin zieht es dich?

Zeit und Reihenfolge: (Der inneren Landschaft eine zeitliche Dimension geben.) Und was geschieht dann? Und was war gerade bevor X?

Metapher / Bild / Vergleich: (Diese Frage ist geeignet, Bilder zu provozieren.) Und X ist wie was? 

Herkunft: (Ursprung) Und woher könnte X kommen?

Beziehung: (Schafft Verbindungen in der Landschaft oder ordnet.) Und gibt es einen Zusammenhang zwischen X und Y?

Ergebnis: (Wenn schon eine Landschaft entstanden ist, kann man gut nach den Wünschen fragen, wie sich alles entwickeln könnte.) Und was möchtest du, das passiert? Und was möchte X, das passiert?

Kraft: (Ist es möglich?) Und kann X Y machen?

 

Meine Erfahrung  

Ich bin froh, dass ich Clean Language benutzen kann. Zu mir kommen mitunter Klienten, die in der Lage sind, nach zwei drei, Clean Questions zu sagen, was sie sich von der bevorstehenden Behandlung wünschen. Sie haben eine Idee, womit sie arbeiten wollen und wie sie sich später fühlen möchten.  Hier bringt Clean Language die Idee auf den Punkt. Und ich habe die Möglichkeit, nach der Behandlung kurz nachzufragen. Es ist einfach, klar und schnell.

Es kommen auch Menschen, die keine exakte Vorstellung haben und sich lieber treiben lassen. Da bekomme ich auf Clean Questions oft ausweichende Antworten. Vielleicht bin ich nicht geübt genug, vielleicht brauchen diese Klienten in dem Moment ein anderes Gespräch. Und das ist auch gut.

Und es gibt Klienten, die in unerwarteten Momenten im Gespräch oder in der Behandlung plötzlich auftauchende Bilder äußern. Hier habe ich es erlebt, dass Klienten positiv erstaunt darüber sind, dass ich ihr Bild aufgreife und es ernst nehme, indem ich sie dazu frage. Darüber, dass sie über ihr Erleben sprechen können und dürfen. Sie können von dem, was sie sagen und was sich in ihnen entwickelt, selbst ergriffen sein. Das finde ich beeindruckend. Und besonders hier habe ich durch Clean Language deutlich an Sicherheit gewonnen. 

Für mich ist klar, für die Klientin soll ihr eigenes Erleben im Vordergrund stehen, nicht meines. Die Erfahrung der Klientin und die Ideen der Klientin dürfen den Raum einnehmen.  Trotzdem teile ich mitunter auch meinen Eindruck mit. Wenn ich eine Aussage über mich mache, gebe ich einen Rahmen und einen geschützten Raum und genau das Signal: Hier kann man sagen, was man spürt.


Weiterführende Literatur: 
englisch:
Nick Pole, Words that touch – How to ask questions your body can answer, Singing Dragon, 2017, ISBN 978-1-84819-336-9
Es gibt eine Website von Judy Rees mit kurzen Videos verschiedener Clean-Language-Anwender www.learncleanlanguage.com oder „Six baby steps to start using Clean Language“ auf www.judyrees.co.uk
deutsch:
Bettina und Hans-Peter Wellke, Clean Language Karten, Verlag Source Of Performance,  2014, ISBN/EAN 4-260251-440215
 

Autorin: Maria Illgen, Shiatsupraktikerin (Praxis Shiatsu in Rixdorf, Berlin) zur Website


 

Dein gutes Leben – so einfach

Dein gutes Leben – so einfach

Es gibt so unendlich viele Lebensregeln heutzutage. Und wir werden mit einer Flutwelle an Ratschlägen von Gesundheitsexperten und solchen, die es gerne wären, überrannt bis es schon weh tut und am Ende gar nichts mehr hilft. Gesund sein kann das nicht. Aber wir sehnen uns nach Informationen und Hilfe und bekommen überreichlich davon geliefert. Überall. In jedem Geschäft, in jeder Zeitschrift, in unzähligen Gesprächen, ob wir wollen oder nicht. Alle geben ihr Wissen um den letzten Gesundheitsschrei zum Besten.

Es wird kompliziert und immer komplizierter. Eigentlich soll es einfach sein. Wenn wir uns von dogmatischen Vorstellungen lösen und den Blick auf’s Wesentliche richten kann es das auch.

Im Allgemeinen definieren wir in unserer Gesellschaft Gesundheit als das Fehlen von Krankheit.

Aus Shiatsusicht ist Gesundheit von Krankheit nicht zu trennen. Wir bewegen uns zwischen zwei Polen und unser Leben gestaltet sich aus den Kräften, die hier wirken.

Ein gutes Leben ist nicht davon abhängig, welche Symptome uns begleiten. Es gibt „kranke“ Menschen, die glücklich sind und es gibt „gesunde“ Menschen, die unglücklich sind. Wir haben viele Möglichkeiten, unsere Lage zu bewerten und vieles hängt tatsächlich genau von dieser eigenen Bewertung ab.

Doch gibt es ein paar ganz einfache Grundregeln, die uns helfen, kraftvoll und glücklich unseren Weg zu gehen. So einfach diese Regeln sind, so viel können sie dennoch bewegen. Es muss nicht kompliziert sein und wir wollen uns nicht in komplexen Diäten, Meditationsvorhaben, Yogapraktiken und Fitnessplänen verheddern. All das ist möglich und für den ein oder anderen wichtig und erstrebenswert, doch mir geht es um die Basis unserer Gesundheitspflege.

Beim Shiatsu betrachten wir den Menschen als Ganzes, seinen Körper, seinen Geist, seine Emotionen und seinen Verstand. Wir sprechen von den vier Ebenen, die in einander übergehen und sich gegenseitig nähren, aber auch schwächen können. Betonen wir zwei oder drei dieser Ebenen und vernachlässigen eine andere, wird es leicht zu einem Ungleichgewicht kommen. Ich will das genauer beschreiben. Und vor allem will ich, dass es einfach bleibt. Es ist weniger wichtig, diese Zusammenhänge im Detail zu wissen und zu verstehen. Wir können einen Weg beschreiten und Erfahrungen machen. Daraus schöpfen wir und alles wird zum Spiel. 

Stell dir für einen Moment dein Wesen als ein dreidimensionales Netz vor. In diesem Netz findest du die oben erwähnten 4 Ebenen (körperlich, emotional, mental, spirituell). Sie existieren nebeneinander und sind ineinander verwoben zu einem komplexen bunten Netz.

Nun tust du etwas für deinen Körper und das Netz bewegt sich in dem Bereich, der deine Körperlichkeit repräsentiert. Durch die unzähligen Verbindungen bewegt sich jedoch das ganze Netz und so werden die anderen Ebenen auch in Bewegung gebracht und beeinflusst. Tust du etwas für deinen Verstand, wird sich das Netz auf eine andere Art und in eine andere Richtung bewegen. So ist unser Netz in ständiger Bewegung und Veränderung.

Wird ein Bereich dauerhaft vernachlässigt, geht von ihm keine Bewegung aus. Dieser vernachlässigte Bereich bewegt sich zwar durch den Einfluss der aktiveren Ebenen, jedoch eben nur passiv und so kommt es zu einem Ungleichgewicht. Zudem fehlt der stimulierende Einfluss auf die anderen Ebenen. 

Dies ist natürlich eine sehr vereinfachte Darstellung, aber sie macht auf einfache Art deutlich, wie die Ebenen miteinander kommunizieren.

Wenn wir wollen, dass unser Leben, um in diesem Bild zu bleiben, einem kraftvoll pulsierende Netz gleicht, was ständig in Bewegung und Entwicklung ist, können wir nun ganz konkrete Schritte gehen.

Wie wir das machen, kann sehr individuell sein. Jeder Mensch ist anders und hat andere Aufgaben und Interessen. Unsere Basis ist jedoch immer gleich, es ist das Zusammenspiel dieser 4 menschlichen Ebenen. Und die einfachste aller Grundregeln lautet:

 

– Wachse auf allen 4 Ebenen –

Tue etwas für deinen Körper,
setze dich mit deinen Emotionen auseinander,
fordere deinen Verstand
und übe dich in Spiritualität.

 

 

Jetzt kann es natürlich ganz schnell wieder kompliziert werden, weil sicher jeder von uns zu all diesen Bereichen schon zig Ansätze und Empfehlungen im Kopf hat. Doch auch hier darfst du einen Schritt zurücktreten und ganz unten anfangen.

Beim Shiatsu wenden wir immer den Blick auf das, was schon da ist und nicht auf das, was nicht in Ordnung ist. Denn das, was da ist, will auch da sein und kann somit auch wunderbar gefördert werden, so dass es sich entweder wandelt oder größer wird.

So kannst du als erstes für dich feststellen, was du auf diesen 4 Ebenen hast, tust und bist.

Hier ein paar Beispiele:



 

Wenn du all diese Bereiche mit Leben und Bewegung füllst, wird dein Leben reichhaltiger und wesentlicher werden. Dabei ist es überhaupt nicht wichtig auf jeder Ebene das letzte rauszuholen. Denn hier spielt unsere Persönlichkeit eine große Rolle. Nicht jeder will Sport machen und nicht jeder will sich einer religiösen Praxis hingeben. Das ist auch nicht nötig. Werden die Ebenen alle gleichermaßen schon in geringem Maße geachtet und gelebt, ist dies günstiger, als wenn zwei Bereich überbetont werden und ein anderer hinten runter fällt.

So könnte die oben genannte Grundregel

Wachse auf allen Ebenen

zu einer einfachen täglichen Lebenspraxis werden.

 

Hinzu kommen deine ganz persönlichen Vorlieben und Leidenschaften, die du in vollem Maße ausleben kannst – so, wie du es vielleicht jetzt auch schon tust. Doch sicher um ein Vielfaches bereichert durch die vergrößerte Basis, die du dir erschaffen hast.

Wie kann so eine tägliche Lebenspraxis ganz einfach gestaltet werden?

Mache dir eine Liste mit Handlungen, die du gut in dein Leben integrieren kannst. Bediene dich der Idee der 4 Ebenen und sei kreativ. Es ist wichtig, dass es deine persönliche Handlungen sind und du nicht irgendwelchen Vorgaben folgst. Lass dir also für dich passende Handlungen aus den Bereichen Körper, Emotionen, Verstand und Geist einfallen und zögere nicht, hier und da deine Grenzen etwas auszuweiten. Es ist wahnsinnig bequem, sich im Komfortbereich zu bewegen, aber es wird mit der Zeit auch langweilig. Wir Menschen wollen wachsen. Das ist eines unserer grundlegendsten Bedürfnisse. Schenke dir diese Chance und integriere die ein oder andere Handlung, die dich vielleicht auch mit Angst oder Unwohlsein konfrontiert. Es ist ein Spiel und jetzt heißt es Ausprobieren und Neues entdecken. 

Denk dran, viele kleine Schritte ergeben einen großen. Wir öffnen uns, wenn wir Neues ausprobieren. Dein Blick wird sich verändern mit den Erfahrungen, die du hier machst und das Leben wird runder, leichter und schöner.

 

 

Von Herzen

viel Erfolg damit

Autor: René Fix, Leiter des kiCollege

Was ist Shiatsu?

Was ist Shiatsu?

Ich bin kein Freund von ausgeklügelten Shiatsudefinitionen und es ist eine wahrscheinlich lebensbegleitende Aufgabe für Shiatsupraktiker, diese so oft gestellte Frage nach dem ‚Was ist das eigentlich?‘ zu beantworten oder im besten Fall geschickt zu umschiffen. Ganz ähnlich geht es mir, wenn ich nach dem letzten Urlaub gefragt werde. Ich kann beschreiben, was ich gemacht habe und wo ich war, aber was ich tatsächlich erlebt habe, kann ich meinem Gegenüber selten vermitteln. Es bleibt unbefriedigend.

Als ich 2004 meine Shiatsuausbildung am Europäischen Shiatsu Institut in Münster begann, habe ich zuvor weder davon gehört, noch jemals eine Behandlung bekommen. Eine ganze Kette an wenig nachvollziehbaren Zufällen führte mich jedoch zu einem Abend in der Berliner Schule für Zen-Shiatsu. Es war ein Infoabend für eine Shiatsuausbildung. Auch nach diesem Abend wusste ich nicht annähernd, was Shiatsu wirklich ist. Doch ich habe eine Berührung gespürt, die mich neugierig gemacht hat. So neugierig, dass ich mehr davon wollte. Es gab etwas zu entdecken, was jenseits meiner bisherigen Erfahrungen lag und es war irgendwie wesentlich.

Da war auf einmal Nähe zu mir und zu anderen, die mich, ohne irgendwie schräg oder merkwürdig zu sein, tief berührt hat. Da waren Berührungen, die mich meinen Körper auf eine ganz besondere Art haben spüren lassen. Es war ein bisschen magisch, fast schon mysteriös, dachte ich. Es wurde natürlich auch viel gesprochen und erklärt, doch diese ganzen Erklärungen mit Energie, Meridianen, Akupunktur, Yin Yang und japanisch und so haben mir wenig geholfen, das Ganze auf die Schnelle zu verstehen. Aber das war auf einmal auch nicht mehr wichtig.

Jetzt kann ich über dieses Medium keine Erfahrungen bieten, sondern bin relativ reduziert auf Wort und Bild. Und ich sehe mich einem neugierigen Leser gegenüber, der wissen und verstehen will.

Die viel zitierten Definitionen von Wikipedia und dem Shiatsu Berufsverband (GSD) helfen nur geringfügig weiter. Man erfährt, das Shiatsu aus Japan kommt, eine individuelle, energetische Körperarbeit ist und die Selbstregulierungskräfte des Menschen anregt. Doch das ist abstrakt und verglichen mit dem real erlebten Shiatsu relativ langweilig.

Also nehme ich nochmal einen Anlauf:

Es gibt einen Behandler und eine/n Behandelte/n, also ist eine Behandlungsform. Manche nennen es Therapie, manche Berührungskunst, manche Körpercoaching, manche energetische Körperarbeit.

In Japan, dem Ursprungsland von Shiatsu, würde man vielleicht von einer Art manuellen Therapie sprechen. Shiatsu ist dort weit verbreitet, wird in einem Shiatsu College gelehrt und funktioniert doch ganz anders als hier in Europa.

Shiatsu ist ein weites, weites Feld. Es gibt verschiedene Schulen und Systeme und die Arbeit ist von Praktiker zu Praktiker verschieden. Eine Ausbildungen kann man an einer Shiatsu-Schule absolvieren. Schon hier wird man ermutigt, seinen persönlichen Weg mit Shiatsu zu finden.

Die Persönlichkeit ist essenziell wichtig in der Begegnung und Kommunikation von Mensch zu Mensch, sei es in der gesprächstherapeutischen Arbeit, in der Körperarbeit und auch in anderen Begegnungen und Berufen, wenn man z.B. erfolgreich Brötchen im Bäckerladen verkaufen will. Wir sind nur schnell dabei, die Sache, die Technik, das System oder die Ware in den Mittelpunkt zu rücken. Und so entstehen Definitionen.

Im Shiatsu steht die Begegnung im Mittelpunkt und somit die zwei Menschen, die sich für eine Sitzung verabredet haben. In dieser Begegnung geschehen Veränderungen, es kann losgelassen und wahrhaftig gespürt werden. So entsteht Vertrauen zum eigenen Sein und Tun, was so unglaublich wichtig ist für das persönliche Vorankommen. Schmerzen kommen und gehen, der Kopf wird leer, das Leben und das eigene Tun wird bewusster. Im Körper sinkt oder steigt die Spannung und das Wohlgefühl. Man weiß nicht, was geschehen wird. Alles ist ein Experiment, jede Begegnung und jede Berührung. So individuell wie jeder Moment in diesem Universum.

Man weiß auch nicht, was passiert, wenn man an einem x-beliebigen Tag eine alte Freundin wieder trifft und sie einem plötzlich Fragen stellt, die einen vielleicht stutzen lassen. Fragen, die Erinnerungen wecken und die auf einmal an unserem wohletablierten System rütteln. Man weiß auch nicht, was geschieht, wenn wir morgen mit dem Fahrrad hinfallen. Vielleicht liegen wir 4 Wochen im Krankenhaus und unsere Arbeit wird von einem Kollegen weitergeführt. Vielleicht bremst das unser Leben so dermaßen aus, dass danach alles anders ist und wir neue Ideen bekommen, wie es weitergehen soll. 

So weiß man auch nicht, was passiert, wenn beim Shiatsu sich Emotionen zeigen, die man vielleicht jahrelang nicht gespürt hat. Oder wenn sich die Schulter wie durch Gottes Hand berührt wieder frei und flexibel anfühlt. Der Arzt hat doch gesagt, die sei kaputt. Man weiß es nicht. Wir sind keine Maschinen und Shiatsu ist keine Apparatur, genauso wie das Leben keine Fabrik ist.

Shiatsu ist offen. Nichts wird erwartet und nichts wird gewollt. Es ist eine Begegnung in Berührung und Achtsamkeit und es gibt tausend Wege. Shiatsu hat einen umfangreichen theoretischen Überbau, doch im Mittelpunkt steht der Moment, in dem sich zwei Menschen begegnen und berühren, um zu entspannen, loszulassen und neue Möglichkeiten zu erforschen. Hier entfaltet sich unser Potential. Faszinierend und kraftvoll und mehr als empfehlenswert. 

Autor: René Fix, Leiter des kiCollege

Körperarbeit – König der Heilbehandlung

Körperarbeit – König der Heilbehandlung

Hat der Mensch etwas, was ihm nicht gefällt, will er, dass es sich verändert oder weggeht.

Das dürfte, grob zusammengefasst, der zentrale Beweggrund sein, warum wir zu Ärzten, Therapeuten, Wahrsagern, Heilern und Coaches gehen.

Verändern heißt für die meisten unter uns, einen vorherigen Zustand wieder herstellen oder ganz gezielt einen neuen, besseren und schöneren Zustand erreichen.

Hier liegen jedoch zwei ganz grundlegende Schwierigkeiten vor:

1. Das Leben ist ein Prozess in Veränderung. Zustände gibt es nicht, auch keine Gesundheitszustände. Wir verändern uns kontinuierlich, wir schwanken immer zwischen Tag und Nacht, zwischen stark und schwach und zwischen Freud und Leid. Nichts bleibt, wie es ist oder wird, wie es einst war, auch wenn wir gern an diesem Gedanken festhalten.

2. Veränderung lässt sich nicht forcieren. Wir können Umstände erschaffen, damit Veränderung geschieht, doch können wir das Ergebnis dieser Veränderung nicht präzise vorhersagen oder punktgenau treffen. Es bleibt immer eine Überraschung, wo wir nach einer Veränderung stehen und wie sich das Leben von dort weiter entfaltet.

Wie z.B. beim Bogenschießen. Wir schießen auf ein Ziel und können sehr viel dafür tun, dass der Pfeil genau dort landet. Kommt jedoch eine starke Windböe in genau dem „falschen“ Moment, wird der Pfeil vielleicht abgelenkt und verfehlt das Ziel.

Unser Anliegen, einen bestimmten, von uns in leuchtend bunten Farben ausgemalten Zustand zu erreichen, ist sicher natürlich und irgendwie menschlich. Wir haben nunmal die Fähigkeit, bewußt zu denken und aus der Vergangenheit in die Zukunft zu projizieren. Also suchen wir einen Weg genau dort hin. Auf dem Weg zum „Gesundsein“ fragen wir uns deshalb meist nicht als erstes, was wir tun können, sondern was wir nehmen können.
Wir lieben diese Mittelchen, die uns unseren Zielen näher bringen sollen. Vom handfesten Medikament, über Bachblüten, Heilkräuter, bis hin zu Alkohol und Drogen. Selbst eine Akupunkturnadel scheint uns ein Mittel zu sein. Wir wollen unserem Körper etwas hinzufügen, damit er sich verändert, heilt oder wieder ganz wird.

Ausgebuffte Materialisten sind wir. Wir glauben an die Beeinflussung durch Stoffe, durch Materie und lieben die Idee von Ursache und Wirkung. Nirgends wird dies deutlicher sichtbar, als bei der Gabe einer materiellen Substanz (wie Medikamente, Vitamine, Kräuter, Drogen, etc.).

Ich habe Hunger – ich esse ein Steak – ich habe keinen Hunger mehr. So einfach ist das. Eine klare Sache. Ein schönes Beispiel für Ursache und Wirkung. Doch wir sind nicht allein Materie, nicht nur Körper. Wir sind auch Geist, Seele, Energie. Wir denken und erschaffen.

Genau genommen können wir Geist und Körper gar nicht getrennt betrachten, auch wenn uns das Trennen oft hilft, klarer zu sehen.

Doch, ganz ehrlich. Wer schon einmal den körperlichen Schmerz einer nicht erfüllten Liebe erlebt hat oder das seelische Aufbäumen nach einer bestandenen Prüfung, der weiß aus eigener Erfahrung, dass Körper und Geist untrennbar miteinander verbunden sind.

Die Erfahrung zeigt: Bewege ich den Körper, bewege ich auch den Geist. Berührt etwas meine Seele, berührt es auch meinen Körper. Die Psychotherapie nutzt oft dieses Wissen und hat heutzutage reichlich zu tun. Hypnose, Mentaltraining und andere Praktiken liegen hoch im Trend um die körperliche, seelische und geistige Fitness zu verbessern. Die erzielten Effekte sind umfassend.

Doch zurück zu unserem Anliegen, einen Zustand herstellen zu wollen

Wir wissen nicht, was das Leben mit uns vorhat und wofür es gut und richtig ist, was uns gerade widerfährt oder wo wir gerade stehen. Wir können das Erreichen eines gewünschten Zustandes nicht forcieren. Um glücklich zu sein und unser Leben erfolgreich und gesund weiter zu entfalten, braucht es oft einen besonderen Schritt, das richtige Mittelchen oder eine tiefe Erkenntnis. Doch wir können uns diese Intervention in den seltensten Fällen mit unserer beschränkten Ratio herleiten. Selbst der beste Therapeut kann mit all seinem Wissen und Können nie mit vollster Treffsicherheit wissen, was für seinen Patienten in dieser Situation mit all der Individualität, die er mitbringt am Besten ist. Er wird sich immer nur annähern können. Das ist reines Wunschdenken und ja, das ist schier zum Verzweifeln und bringt all die Gedankengebäude über Gesundheit, Krankheit und Heilung, sowie über die Macht unseres Verstandes und unserer Intelligenz in unseren großen Köpfen ins Wanken.

Was wäre es doch so schön, wenn wir einfach wüssten, was gut und richtig für uns ist.

Momentmal!

Es gibt sie, die eigene Intelligenz des Körpers, des Geistes und der Seele. Was wäre, wenn wir annähmen, wir selbst wüssten am Besten, was für uns gut und richtig ist? Was wenn es eine Intelligenz des Körpers, des Geistes und der Seele sprich eine umfassende Intelligenz in uns gäbe?
In der fernöstlichen Heilkunde geht man schon seit Anbeginn der dortigen Medizinbewegung von einer solchen Intelligenz aus und arbeitet mit ihr, um bestimmte Zustände zu erreichen.
Diese Intelligenz ist tief in unserem Wesen verankert und gut vernetzt mit der Welt und der übermächtigen Intelligenz des Universums. Und ja… wir können mit ihr Kontakt aufnehmen.

Es gibt also noch weit höhere Fähigkeiten in uns, als wir so gemeinhin denken und uns zugestehen. Damit wird unsere Ratio, die alte Mimose, sicher nicht gern zufrieden sein.

Wenn wir diese, ich nenne sie mal „höheren Intelligenz“ anzapfen und ihr vertrauen lernen, werden wir im Leben viel einfacher weitergehen können in eine vielleicht notwendige Veränderung, die uns gesunden lässt oder glücklicher macht. Die nötigen Schritte, um näher dran zu sein an unseren wahren, tiefliegenden Bedürfnissen, entwickeln sich viel natürlicher. Sie werden weniger anstrengend und mit mehr Freude und Hingabe geschehen. Dann werden aus Zustände vielleicht Phasen und aus Ziele Überraschungen. Mit der Zeit schwinden die Zweifel an der Veränderung und das Vertrauen macht uns stark und mutig. So kann Heilung im Sinne von guter Veränderung geschehen.

Überall und ständig wird in diesem Sinne geheilt und jeder von uns hat das schon erfahren. Meist bekommt man es gar nicht als Solches mit, doch wir könnten keinen Tag überleben ohne die Anbindung an diese Intelligenz. Es gibt viele Ansätze, diese Verbindung zur eigenen Natur wieder zu entdecken und zu stärken. Der klügste und einfachste Weg, dies zu erreichen, geht meiner Ansicht nach über den Körper, da wir hier über unsere Sinne empfinden und den stärksten Zugang zu uns haben. Wir erleben unseren Körper seit unserer Zeugung und wir haben uns unzählige Male über unseren eigenen Körper selbst geheilt.

Schon eine einfach Erkältung heilt nicht durch die Medikamente, die man nimmt, sondern durch die Heilkräfte, die der eigene Körper mobilisiert. Um dies zu fördern, geben wir dem Körper Ruhe und Zeit. Die Medikamente oder Tees lindern die Symptome und unterstützen den Körper. Die Heilung aber macht er von ganz alleine. Genauso verhält es sich bei einem gebrochenen Bein. Wir müssen nur günstige Umstände schaffen und der Körper bringt mit genügend Zeit das Ganze wieder in Ordnung.

Unser Körper ist ein Wunder, ein hyperintelligentes Kraftwerk. Er ist das Vehikel, welches uns durchs Leben bewegt und er beherbergt unsere Seele und unseren Geist. In unserem Körper werden jede Menge Stoffe (Hormone, Enzyme, etc.) produziert, die es ermöglichen, aufgenommene Substanzen zu integrieren und sinnvoll zu regulieren. Diese Regulierungsmechanismen laufen ohne unser bewusstes Zutun ab und wir neigen dazu, sie massiv zu unterschätzen. Eine tiefgehende, nichtmanipulative Körperarbeit wie beispielsweise Shiatsu erlaubt uns, Veränderung geschehen zu lassen, weil sie Raum lässt für unsere eigene Körperintelligenz. Shiatsu lässt die Körperintelligenz sprechen und selbst entscheiden, was gut und schlecht ist, bzw. was an Substanzen, Erkenntnissen und Wahrheiten integriert und verarbeitet werden soll und was nicht.

Im fernen Osten gilt die Arbeit mit dem Körper als der König der Heilmethoden. Seit vielen tausend Jahren werden verschiedene Körperpraktiken entwickelt und verfeinert, um die Erfahrung zu machen, seine eigene Entwicklung und Heilung von innen heraus zu fördern und letztlich in seiner ganzen Kraft zuzulassen.

Eine herausragende Methode ist das ursprünglich aus Japan stammende Shiatsu, bei dem tiefe authentische Berührung in Verbindung mit einer absichtslosen inneren Haltung im Vordergrund steht. Shiatsubehandlungen sind Gespräche mit dem Menschen über den Körper. Die Berührungen sind klar, konkret und wesentlich. Der Mensch wird da berührt, wo er es gerade braucht und verlangt. Er wird auf eine Weise berührt, die in die Tiefe geht, ohne in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden. Was der Verstand dazu beizutragen hat, wird nebensächlich. Der Bauch übernimmt die Führung und genau das kann ein erfahrener Shiatsupraktiker mit seinen Behandlungen bewirken. 

Durch Shiatsu wird Veränderung nicht forciert, sondern kann, aber muss nicht geschehen.
Gesundheit wird nicht mehr als Zustand sondern als Prozess oder Entwicklung erfahren.

Was bringt das ganz konkret, wenn man beispielsweise Rückenschmerzen hat und diese loswerden will. Im Optimalfall gelangt man mit Shiatsu an den Punkt, an dem die Rückenschmerzen verschwinden, weil Umstände geschaffen wurden, wo man sie loslassen und das System sich wandeln konnte. Zudem hat man gelernt, besser mit sich, seinem Körper und seinem Geist umzugehen. Man hat gelernt zu verstehen, was zu den Rückenschmerzen geführt hat und wieso sie für´s eigene Leben wichtig waren. Man ist freier geworden, kein Opfer mehr von Symptomen und hat die Kraft, das eigene Leben zu gestalten, zurück gewonnen. Diese Kenntnis hat der Körper erfahren und nicht der Verstand. 

Unendlich viele Aspekte der Heilung übersehen wir so leicht in unserer eingeschränkten Sichtweise. Wir können sie gar nicht sehen und schon gar nicht vorhersagen. Mit Shiatsu dürfen wir lernen zu entdecken und werden überrascht sein, wie sich das Leben und unser ganz persönlicher Entwicklungsprozess vor unseren Augen entfaltet.

Autor: René Fix, Leiter des kiCollege

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