Sprache im Shiatsu – Die Idee von Clean Language

Okt 21, 2019Allgemein

Shiatsu arbeitet mit unserem Körperwissen, mit unserer Intuition. Es berührt, es kann ganz klar sein und einfach. Und doch ist es schwer, das in Worte zu fassen, was es für uns bedeutet.

Shiatsu verstehen wir mit der rechten Seite des Gehirns, Sprache findet sich in der linken. Die Erfahrung von Shiatsu gehört zum Erleben des Augenblicks und ist vergleichbar mit der Wirkung von Natur, Kunst, Musik…

Im Alltag liegt der Fokus oft bei Eindeutigkeit, Struktur, Zuordnung, Benennung.

Und eine Ganzheitlichkeit finden wir da, wo wir beides berücksichtigen. Da wo sich Intellekt mit Weisheit verbindet. Da wo wir über Gefühle sprechen können und Geist, Seele und Körper zusammen gehören.

Wenn wir über unser Körperbewusstsein sprechen können, verbinden wir zwei Welten. Dann laden wir den Verstand bewusst in die Tiefe des Körpers ein, dann nehmen wir die Erfahrung aus dem Shiatsu eindeutig mit nach Hause. Mit der Sprache findet die Gedankenwelt die Tür zum Körper und die Sprache festigt unser Erlebnis.

Ich bin keine Psychotherapeutin, sondern Shiatsu-Praktikerin. Deshalb brauche ich ein einfaches Werkzeug. Einen Weg, der keine Wertung und Interpretation verlangt. Der nichts braucht als den aufmerksamen Zuhörer, der sich zurücklehnt, der den Raum hält, in dem Bewegung stattfinden kann. Eine Sprache, die kein Ziel vorgibt, sondern forscht, wertschätzend und anerkennend. Die sich traut, an Herausforderungen heranzutreten und nicht überfordert. Genau so wie eine Behandlung, die Selbstwahrnehmung und Verantwortung der Klienten stärkt.

Es ist knifflig, und es gibt viele Wege, die Sprache gut ins Shiatsu zu integrieren, sei es z.B. mit Focusing, Somatic Experiencing oder Clean Language. Ich stelle hier Clean Language vor.

 

Die Idee von Clean Language

Das Wesen von Clean Language ist es erstens Bilder und Metaphern zu fördern und zweitens diesen einen Ort zu geben.

Wenn wir Bilder in unserer Sprache benutzen, kommt unser Gefühl mit ins Boot. Wir benutzen dafür nicht nur den Kopf, sondern nehmen es im ganzen Körper wahr. In dem Moment, in dem wir es verorten, im Körper oder im Raum um uns selbst, stärken wir die Beziehung mit unserem Körper.

Das Wesen von Clean Language ist es drittens, nur die exakten Worte unserer Klientin zu verwenden. Damit bleiben wir Zuhörer, die wertschätzen und spiegeln, die nicht interpretieren, sondern den Raum geben für das, was passieren möchte.

David Grove, Psychotherapeut aus Neuseeland, hat in den Achtziger Jahren die Idee von Clean Language entwickelt. Es wurde viel daran geforscht und weiterentwickelt und in unterschiedlichste Bereiche eingeführt. Nick Pole hat es ins Shiatsu gebracht.

Clean Language ist sehr einfach strukturiert. Es gibt etwa ein Dutzend Fragen, die gestellt werden. Sie wurden entwickelt, so wertfrei und offen wie möglich zu sein. Für den Anfang reichen zwei, drei Fragen aus.

Und was für ein…?

Und ist da noch etwas über…?

Und wo ist…?

 

An einem Tag höre ich meinen kranken Sohn. Er hat sich am vorigen Abend mehrmals übergeben und sagt nun: 

– Mein Magen fühlt sich so voll an. Ich möchte so gern etwas essen und ich habe das Gefühl, es ist nur Wasser in meinem Magen.

– Möchtest du, dass ich dazu Clean Language mit dir mache?

– Ja.

– Und ist da noch etwas über deinen Magen, der sich so voll anfühlt?

– Der brodelt so. Ganz wild.

– Und wo ist das Brodeln, ganz wild?

(Er zeigt auf seine Körpermitte und macht Bewegungen mit beiden Händen nach oben und nach außen.)

– Und was für ein Brodeln, ganz wild (Ich begleite die Frage mit derselben Geste, die er gezeigt hat.)?

– Das möchte raus. 

– Und wohin möchte es raus?

(Er überlegt lange, lange.)

– Es möchte frei sein. Es soll ganz weg gehen. (Mit den Händen begleitet er das vom Rumpf horizontal nach außen in den Raum.)

(Ich gebe dem Gefühl noch mehr Zeit.)

– Und wie ist dein Magen jetzt?

– Gut, das bewegt sich.

Eine halbe Stunde später fing er an eine kleine Portion zu essen und hatte keine Magenbeschwerden mehr.

Für mich war es schön zu sehen, mit welcher Aufmerksamkeit er seine Beschwerden anerkannt hat. Und gleichzeitig hatte er die Bereitschaft, seinem Gespür für die eigenen Bedürfnisse zu trauen.

Clean Language selbst verändert hier gar nichts. Clean Language unterstützt aber die eigene Klarheit. Clean Language ist hier das Werkzeug, das hilft, zu sich selbst zu kommen und sich auf sich selbst einzulassen. Sie gibt den Raum und die innere Bewegung kann fließen.

 

Clean Language hören

Clean Language ist eine eigene Sprache, die man üben kann. Die wenigen Elemente, die sie benötigt, kennen wir alle. Die Fragen, die wir stellen können sind nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich schwer ist es nur, auf das andere zu verzichten, was wir gewohnt sind. Keinen Rat zu geben, keine Meinung zu äußern, keine neuen Ideen an unser Gegenüber heranzutragen, kein Umdenken, keinen anderen Blickwinkel zu provozieren, keine Interpretation. Und gleichzeitig wertschätzend und präsent sein. Vom Shiatsu kennen wir die Idee, einen freien leeren Raum zu halten, dass etwas von allein entstehen kann. Mit der Sprache können wir das also auch tun. Es wird sich nicht jeder Klient (gleich) darauf einlassen, und das dürfen wir respektieren.

Eine Klientin sagt: 

– Ich arbeite so viel und ich nehme immer meine Schultern nach vorn. Die sind sowieso etwas nach vorn gesunken, aber das ist zurzeit viel mehr. (Sie zeigt, wie ihre Schultern nach vorn zusammensinken.)

– Und ist da noch etwas über die Schultern, die nach vorn sinken? (Ich spiegele das nach vorn Sinken.)

– Es macht was mit meinem unteren Rücken. Da ist keine Kraft.

– Und gibt es einen Zusammenhang zwischen den Schultern, die nach vorn sinken und deinem unteren Rücken, wo keine Kraft ist?

– Ja. Ich habe keine Zeit, Sport zu machen und deshalb ist es so. Meine Schultern können sich schon öffnen! (Sie richtet sich auf.) Aber wenn ich arbeite, gehen sie wieder so. (Zusammensinken.)

– Und was möchten deine Schultern, das passiert?

– Ich weiß es nicht.

– Und was möchtest du, das passiert?

– Ich möchte, dass sie sich öffnen.

– Und was geschieht, wenn sich deine Schultern öffnen? 

– (Sie öffnet ihre Schultern und sieht dabei etwas unglücklich aus.) Keine Ahnung.

– Und dass sich deine Schultern öffnen, ist wie was?

– (Nach einem Moment lächelt sie zaghaft.) Ich habe ein inneres Bild. Soll ich es sagen?

Bisher hatte ich das Gefühl, dass wir uns mit unserem Gespräch im Kreis drehen. Die Fragen, die ich gestellt habe, haben nicht gepasst. Jetzt scheint es mir aber plötzlich anders. Als würde sie mich einladen, ihrer Welt zu folgen, die sich gerade vor ihr ausbreitet. Also sage ich:

– Ja.

– Es ist wie eine kleine Flamme in mir. (Sie hält beide Hände vor ihr Brustbein, als hätte sie in ihren Händen eine kleine Flamme, die sie vor dem Wind beschützt.) Und es ist so viel Wind von der Arbeit und dem Stress, dass ich die Flamme schütze und meine Schultern nach vorn nehme.

– (Hier wiederhole ich ihre Worte. Gebe dem Bild den Raum und lasse es in mir wirken.)

Und es ist eine kleine Flamme in dir (Ich wiederhole auch die Geste.) Und es ist so viel Wind von der Arbeit und dem Stress, dass du die Flamme schützt und deine Schultern nach vorn nimmst.

Und ist da noch etwas über so viel Wind und die Flamme schützen?

– Die Flamme braucht auch Wind und auch Sauerstoff, damit sie brennen kann. (Sie führt beide geöffneten Hände über die Rippenbögen nach oben zum Brustbein und richtet sich dabei auf.) 

– Und ist da noch etwas über die Flamme, die auch Wind braucht und auch Sauerstoff, damit sie brennen kann?

– Das ist wie das Öffnen und Schließen. (Sie öffnet und schließt langsam und mehrmals ihre Schultern und ihren Brustkorb.)

– Und kann die kleine Flamme brennen, wenn du dich öffnest und schließt?

– Ja. (Sie lächelt entspannt.)

Und was möchtest du, das geschieht?

– Ich möchte, dass diese Flamme geschützt ist und gleichmäßig brennt.

Nach der Shiatsubehandlung frage ich sie noch einmal nach dem Bild.

– Und wie ist deine kleine Flamme jetzt?

– Sie fühlt sich viel ruhiger an. Und es ist ganz gut.

– Und möchtest du dieses Bild mitnehmen?

– Ja.

Der Unterschied zwischen dem bildhaften und dem normalen Sprechen ist hier sehr klar zu erkennen. Und obwohl die Klientin schon zu Beginn mit ihrem Körper verbunden schien und sich zum Erzählen bewegt hat, sprach sie später viel mehr aus ihrem Körperempfinden heraus, Ihre Einstellung und ihre Ideen zu Ihrem körperlichen Gefühl hatten sich verändert.

 

Clean Language sprechen lernen nach Judy Rees

Hier ist eine wunderbare Anleitung von Judy Rees, Clean Language zu lernen.

1) Sie meint, man sollte zuerst Zuhören lernen ohne zu antworten. Dabei wird das Denken entspannt und die Neugierde für das Erleben und die einzigartige Welt des Gegenübers geschult. 2) Dann kann man beginnen ein paar Worte zu spiegeln. Sie einfach zu wiederholen und dem anderen zurückzugeben. Vielleicht immer die letzten zwei oder drei gesprochenen Worte oder ein Schlüsselwort, das in uns nachklingt. 

3) Als Nächstes kann man eine einzige Frage stellen: „Und was für ein…?“ oder „Und ist da noch etwas über…?“

Bis hierhin sollte es entspannt laufen.  Und erst wenn man damit Erfahrungen gesammelt hat, geübt hat, nicht seinen eigenen Beitrag ins Gespräch bringen zu müssen, und das ist wirklich nicht leicht, kann man sich einen Schritt weiter wagen und 

4) mehr als eine, also zwei Fragen stellen. Das kann mitunter für die Fragenden und für ihr Gegenüber ein bisschen unbequem sein, denn jetzt wird klar, dass es sich um eine andere Art von Gespräch handelt als sonst üblich.

Hier spürt man, ob sich die Gesprächspartnerin im Moment auf Clean Language einlassen mag. Und falls es für einen der beiden zu unbequem wird, kann man wieder in ein normales Gespräch übergehen.

5) Der nächste Schritt beim Lernen ist: Auf Metaphern/ Vergleiche / Bilder lauschen und dazu Clean Questions stellen. Wenn ein Mensch Bilder benutzt, ist, anders als bei bloßen Beschreibungen, sein ganzen Wesen involviert. Deshalb lohnt es sich, gerade hier einzusteigen. Es ist oft angenehmer, wenn wir die positiven Bilder aufgreifen. 

6) Und nun können wir die Aufmerksamkeit unserer Gesprächspartnerin auf ihr Ziel richten: „Und was möchtest du gern, das geschieht?“

 

Clean Questions nach Nick Pole

Es gibt einige geringfügig abweichende Zusammenstellungen von Clean-Language-Fragen. Sie sind auch nicht als hundertprozentig fest anzusehen und es geht viel mehr um die Einstellung beim Fragenstellen als um die korrekte Formulierung. Trotzdem sind sie mit viel Bedacht entwickelt und es könnte sinnvoll sein, sich zuerst daran zu halten. Ich stelle hier die 12 Clean Questions aus „Words that touch“ von Nick Pole vor. Für die Schlüsselworte oder Phrasen steht hier ein X (oder Y), in das man entsprechend einsetzt.

Angefangen haben wir mit der Frage nach dem 

Attribut: (X genauer betrachten und erforschen.) Und was für ein X? Und ist da noch etwas über X? 

Und mit Fragen nach dem 

Ort: (Den Körper und den Raum einbeziehen.) Und wo (genau) ist X? 

Und mit einiger Erfahrung können wir weitere Fragen mit einbeziehen:

Fokus: (Wo ist die Aufmerksamkeit, wohin geht die Aufmerksamkeit?) Und wohin zieht es dich?

Zeit und Reihenfolge: (Der inneren Landschaft eine zeitliche Dimension geben.) Und was geschieht dann? Und was war gerade bevor X?

Metapher / Bild / Vergleich: (Diese Frage ist geeignet, Bilder zu provozieren.) Und X ist wie was? 

Herkunft: (Ursprung) Und woher könnte X kommen?

Beziehung: (Schafft Verbindungen in der Landschaft oder ordnet.) Und gibt es einen Zusammenhang zwischen X und Y?

Ergebnis: (Wenn schon eine Landschaft entstanden ist, kann man gut nach den Wünschen fragen, wie sich alles entwickeln könnte.) Und was möchtest du, das passiert? Und was möchte X, das passiert?

Kraft: (Ist es möglich?) Und kann X Y machen?

 

Meine Erfahrung  

Ich bin froh, dass ich Clean Language benutzen kann. Zu mir kommen mitunter Klienten, die in der Lage sind, nach zwei drei, Clean Questions zu sagen, was sie sich von der bevorstehenden Behandlung wünschen. Sie haben eine Idee, womit sie arbeiten wollen und wie sie sich später fühlen möchten.  Hier bringt Clean Language die Idee auf den Punkt. Und ich habe die Möglichkeit, nach der Behandlung kurz nachzufragen. Es ist einfach, klar und schnell.

Es kommen auch Menschen, die keine exakte Vorstellung haben und sich lieber treiben lassen. Da bekomme ich auf Clean Questions oft ausweichende Antworten. Vielleicht bin ich nicht geübt genug, vielleicht brauchen diese Klienten in dem Moment ein anderes Gespräch. Und das ist auch gut.

Und es gibt Klienten, die in unerwarteten Momenten im Gespräch oder in der Behandlung plötzlich auftauchende Bilder äußern. Hier habe ich es erlebt, dass Klienten positiv erstaunt darüber sind, dass ich ihr Bild aufgreife und es ernst nehme, indem ich sie dazu frage. Darüber, dass sie über ihr Erleben sprechen können und dürfen. Sie können von dem, was sie sagen und was sich in ihnen entwickelt, selbst ergriffen sein. Das finde ich beeindruckend. Und besonders hier habe ich durch Clean Language deutlich an Sicherheit gewonnen. 

Für mich ist klar, für die Klientin soll ihr eigenes Erleben im Vordergrund stehen, nicht meines. Die Erfahrung der Klientin und die Ideen der Klientin dürfen den Raum einnehmen.  Trotzdem teile ich mitunter auch meinen Eindruck mit. Wenn ich eine Aussage über mich mache, gebe ich einen Rahmen und einen geschützten Raum und genau das Signal: Hier kann man sagen, was man spürt.


Weiterführende Literatur: 
englisch:
Nick Pole, Words that touch – How to ask questions your body can answer, Singing Dragon, 2017, ISBN 978-1-84819-336-9
Es gibt eine Website von Judy Rees mit kurzen Videos verschiedener Clean-Language-Anwender www.learncleanlanguage.com oder „Six baby steps to start using Clean Language“ auf www.judyrees.co.uk
deutsch:
Bettina und Hans-Peter Wellke, Clean Language Karten, Verlag Source Of Performance,  2014, ISBN/EAN 4-260251-440215
 

Autorin: Maria Illgen, Shiatsupraktikerin (Praxis Shiatsu in Rixdorf, Berlin) zur Website