Altes Wissen neu entdeckt – Berührung

Altes Wissen neu entdeckt – Berührung

Berührung ist wohl die ursprünglichsten Form der Zuwendung.

Wir alle halten uns instinktiv den Arm, wenn wir ihn angestoßen haben. Diese Berührung lindert und tut gut. Wir alle können das! Wir wissen genau, wie wir uns Berührung wünschen. Doch warum werden wir so selten wirklich „berührt“? Meistens ist es doch eher ein Anfassen. Und: wie berühren wir selbst eigentlich?

Wenn wir etwas Kostbares aufnehmen, benutzen wir zwei Hände, und wir wenden uns diesem Gegenstand zu (anders bei etwas Unwichtigem: da reicht eine Hand, im Vorbeigehen können wir das „mal eben schnell“ aufheben). Wenn wir nun berührt werden, wendet sich der andere uns zu, benutzt beide Hände. Was macht aber solch eine Berührung mit uns? Wir fühlen uns wirklich gemeint! Und gesehen. Diese Berührung ist angenehm, wertschätzend, hat keine Erwartungen an uns. Wir dürfen einfach so sein, wie wir sind.

Lasst uns praktisch am Beispiel einer Schulter schauen, wie sich so eine Berührung „auswirkt“:

Wenn z.B. eine Schulter wie isoliert vom restlichen Körper steht, finden sich dort oft Verspannungsgefühle. Wir wollen diesen Bereich mit unserer eben genannten Berührung erforschen. Für sich ganz lokal und auch in den Verbindungen zum ganzen Körper (Wie gehört diese Schulter zum Rumpf? Wie die Knie zu der Schulter…). Über die Hände wird der Schulter vermittelt, dass sie nicht mehr alleine steht. Wir erinnern uns daran, wie wir „eins“ sein können. Meistens lösen sich nun wie von selbst die Verspannungen. Denn: Keiner steht gerne alleine, auch nicht eine Schulter!

Auch innere Prozesse lassen sich sehr gut mit dieser Art des Berührens begleiten: gerade in unserer oft als stressig empfundenen Zeit haben viele das Bedürfnis, „runter zu kommen“, sich selbst wieder wahrzunehmen. Auch wenn Änderungen im beruflichen oder privaten Umfeld anstehen, unterstützt diese respektvolle und wertschätzende Berührung. Sich gesehen und angenommen fühlen, dazu Halt und Raum: das hilft, dass ich mich den Anforderungen meines Alltages positiv  stellen kann. Entspannt und tatkräftig.

„Das Herz von Shiatsu“ ist diese Art der Berührung. Ganz natürlich, konkret und zugewandt.

Autorin: Tatjana Wörner, Shiatsupraktikerin aus Hirschberg bei Heidelberg. Lehrerin am kiCollege.

 

Meridiane… hat doch jeder

Meridiane… hat doch jeder

Meridiane sind wundervoll und mysteriös. Jeder hat sie und keiner sieht sie. Sie leben uns und wir leben durch sie und doch fehlen uns die Worte, sie jemandem verständlich zu beschreiben, der noch nie etwas von ihnen gehört hat. Im Shiatsu arbeiten wir sogar mit diesen Meridianen und doch scheint sich das Geheimnisvolle um die Meridiane hier oft nicht aufzulösen.
Um etwas Licht in dieses Thema zu bringen, ist es sinnvoll einen Schritt zurück zu nehmen und zu schauen, welche Ebenen über diesen Meridianen liegen.

 

Der Mensch

Der Mensch hat einen Körper, einen Geist und eine Seele. Das scheint mittlerweile zum Allgemeinwissen zu gehören. Wir waren lange vereinnahmt von dem mechanistischen Denken, was uns hat glauben lassen, dass der Mensch mit seinem Körper ganz ähnlich funktioniere wie eine Maschine. Doch uns erreicht immer mehr Wissen und Erfahrungen, die uns bestätigen, dass es neben dem physischen Körper auch einen emotionalen, einen mentalen und einen spirituellen Körper gibt. Und wenn ich sage ‚neben‘, ist das mehr als falsch. Diese Körper sind ein und das Selbe. Eine Trennung findet nur in unseren Köpfen und unseren Definitionen statt.
Der Mensch ist komplex.
Und der Mensch ist ein energetisches Wesen. Aus der modernen Physik wissen wir, dass auf kleinster Ebene eine Unterteilung in Energie und Materie keinen Sinn mehr macht. Das gefrorene Wasser ist genauso Energie wie der unsichtbare Dampf. Schon die Vorstellung von Wasser lässt sich genau betrachtet vom spürbaren Wasser nicht trennen. Alles ist Energie, alles ist Geist. Wir sind nur schnell in dem Glauben, dass unser Körper eine Sache ist, getrennt vom Rest der Welt. Doch der Schein trügt und wir tun uns einen großen Gefallen, diese Überzeugung fallen zu lassen. Unser Körper ist nur ein Aspekt von uns, fein verwoben in das energetische System Mensch, welches wiederum fein verwoben ist in das komplexe energetisch-geistige System unseres Universums.

Die Bewegungen des Lebens

Jeder Mensch bewegt sich auf seine Weise durch sein Leben. Und alles ist Bewegung. Wir bewegen uns auf etwas zu. Wir laufen von etwas weg. Wir entscheiden uns, nach rechts oder links zu schauen. Wir öffnen und verschließen uns. Wir halten fest und lassen los. Das sind ganz grundlegende Lebensbewegungen, die jeder Mensch kontinuierlich tätigt, um sein Leben zu meistern. Auch diese Lebensbewegungen sind hochkomplex und wir brauchen Kräfte und Ressourcen, um sie auszuführen.
Allein um aus einem Sessel aufzustehen braucht es eine ganz Serie an Bewegungen:
– die Motivation, aufzustehen,
– die Entscheidung, dies zu tun,
– die körperliche Kraft, die nach unten geht in den Boden und die Armlehnen,
– die körperliche Kraft, die nach vorne und oben geht,
– das Vermögen, Stabilität auf den Füßen zu finden,
– die Veränderung der Atmung, durch die neue Körperhaltung,
– und einiges mehr.
Um als Mensch durch einen ganz normalen Tag zu kommen, sind unzählige Bewegungen dieser Art nötig.
Schauen wir auf eine andere Art der Tätigkeit, z.B. ein Gespräch, wird deutlich, dass auch hier sehr viel in Bewegung kommt:
– die Öffnung, sich mit einem anderen Menschen im Gespräch zu begegnen,
– das Schützen vor verbalen Angriffen oder ungeliebten Argumenten,
– das Verändern der Haltung, um sich besser zuwenden zu können,
– der innere Verlust einer Überzeugung, wenn der andere gute Argumente vorbringt,
– die Zurückhaltung der Gedankenflut, die parallel im Kopf vorgeht,
– und vieles mehr.
Wir sind so viel mehr, als ein funktionierender Körper. Diese Lebensbewegung finden in uns und um uns herum statt und machen unser Leben aus. Sie zeigen unser Potential.

Die Meridiane

Diese Lebensbewegungen drücken sich in den Meridianen aus, genauso wie sich die Meridiane in den Lebensbewegungen ausdrücken. Und das Ganze ist alles andere als abstrakt.
Um mich zu entscheiden, ob ich links oder rechts entlang gehe, brauche ich eine Kraft bzw. eine Energie, die mir diese Bewegung ermöglicht. Diese Energie drückt sich beispielsweise im Gallenblasenmeridian aus, der an den Körperseiten zu finden ist.
Will ich ein Ziel erreichen und spüre dafür einen großen Antrieb, zeigt sich das in meiner Blasenenergie, die vorrangig auf der Körperrückseite zu finden ist. Sie schiebt mich förmlich nach vorne.
Dies sind zwei sehr einfache Beispiele für den Ausdruck von Lebensbewegungen im eigenen Körper. Wie oben schon beschrieben, spielen oft sehr viele Aspekte eine Rolle, wenn wir etwas tun, wie etwa aus dem Sessel aufzustehen oder ein Gespräch zu führen. Entsprechend viele ‚Meridiane‘ sind involviert.
Diese Meridiane sind nicht begrenzt auf einen bestimmten Körperbereich. Sie zeigen sich dort, wo sie für das, was gerade geleistet und erschaffen wird, wichtig sind. Somit sind Meridiane auch keine Kanäle ähnlich einer Blutbahn oder eines Lymphgefäßes. Sie sind eher als Funktionen und Aspekte unseres Lebens zu betrachten. Und wenn wir verstehen, dass wir Menschen nicht ein Klumpen Materie sind, sondern ein pulsierendes, hochkomplexes energetisches interagierendes System, wird auch klar, dass die Energie, die uns Leben lässt, unbegrenzt aber konkret über unseren Körper zum Ausdruck kommt.

Wir sind also nicht ein Körper, der von Meridianen durchzogen ist, sondern Energie, die sich manifestiert hat und über uns zum Ausdruck kommt. Da, wo die Bewegung stattfindet, zeigt sich etwas. Und das nennen wir Meridian.

Die Behandlung

In einer Shiatsubehandlung wird der Mensch nicht als Körper berührt, sondern als komplexes energetisches Wesen mit all seinen Aspekten. Dieses Wesen, dieser Mensch zeigt sich dem Behandler bzw. der Behandlerin unter anderem über die Meridiane oder bestimmte Punkte bzw. Orte. Da man den emotionalen Körper und den mentalen Körper nicht trennen kann vom physischen Körper, zeigen sich auch entsprechende Prozesse oft deutlich auf körperlicher Ebene. Sie werden sichtbar. Jeder kann sich vorstellen, dass ein Mensch, der sehr viel gedanklich arbeitet einen anderen körperlichen Ausdruck entwickelt, als jemand, der vielleicht vorwiegend mit seinem physischen Körper arbeitet. Diese Unterschiede zeigen sich noch auf feinster Ebene. Auch ganz kurzfristige Bedürfnisse, wie z.B. das Bedürfnis nach Schutz, zeigen sich bei einem Menschen und werden sichtbar. Oft zeigt sich ein tiefes Bedürfnis auch über eine Art Ersatzausdruck. Um bei dem Beispiel zu bleiben, kann es vorkommen, das ein Mensch, der sich schützen will vielleicht anfängt ganz laut zu sein und nach vorne zu preschen. Dann wird das eigentliche Bedürfnis verschleiert und man hat den Eindruck, derjenige ist nicht schutzbedürftig sondern forsch und mutig. Auch dies kann sich bei einer Behandlung zeigen und über die Meridiane, sprich den Menschen, wahrgenommen werden.
Die Meridiane gehören genauso zu uns, wie unsere Zellen, unsere Gedanken und unsere Überzeugungen. Sie sind nicht davon zu trennen.

Bei einer Behandlung wird also ein Mensch berührt und nicht ein Meridian. Es gibt keine Meridianbehandlung und es ist irreführend, wenn von Meridianen als eine Sache, einem Gefäß oder ähnlichem gesprochen wird.
Der Mensch ist nichts, er ist.

Autor: René Fix, Leiter des kiCollege

 

Altes Wissen neu entdeckt – die Wandlungen, der Winter

Altes Wissen neu entdeckt – die Wandlungen, der Winter

Schon vor 2000 Jahren wurden die Vorläufer von Shiatsu in der östlichen Volksmedizin als gesundheitsunterstützende Massageform praktiziert. Wie in der Akupunktur oder TCM liegen auch dem heutigen, modernen Shiatsu verschiedene Konzepte zu Grunde. (Konzepte sind nicht Wahrheiten, sondern Ideen, welche sich in mehr als 2000 Jahren in der Praxis bewährt haben).
Eines dieser Konzepte ist „Die 5 Wandlungsphasen“. Anschaulich beschreiben sie, wie das, was wir in der Natur um uns herum erleben, in entsprechender Weise in uns wirkt.
 
Entdecke am Beispiel des „Winters“, wie aktuell dieses alte Wissen ist:
 
Der Winter in uns
 
Das Jahr neigt sich dem Ende zu. In der Natur wird es still, auch wir ziehen uns mehr zurück. So wie der Bär wohlig und satt in seiner Höhle schläft, machen auch wir es uns in unserem Heim gemütlich: manche sitzen gerne unter einer Kuscheldecke, andere basteln und schmücken weihnachtlich. Es ist die Zeit des Ausruhens und der Regeneration. Draußen bedeckt eine dünne Eisschicht den See. Die Wasseroberfläche kräuselt sich nicht mehr im Wind, Stille breitet sich aus und der Sand setzt sich ab. Nun kann ich bis auf den Grund des Sees schauen. Dies ist eine Reinigung durch Stille. Wenn ich still werde, wird mir danach mein Weg klarer, das Wesentliche wird deutlich. Ich kann bis auf den Grund meiner Seele schauen.
 
Der Winter ist die Zeit des Geschichtenerzählens. Wenn die Großeltern von alten Zeiten erzählen, hören vielleicht nicht nur die Enkel gerne zu. Die Anbindung an unser Vergangenes, auch mit dem vielleicht nicht so bequemen, erleben wir nun. Wir hören zu, dürfen uns getragen fühlen: auch andere vor uns haben ihre Aufgaben zu bewältigen gehabt. Das Wissen darum kann uns Kraft und Vertrauen schenken, dass auch wir unseren Weg gehen werden. Auch wenn wir heute nicht wissen, wie das gehen mag. Das tiefe Nicht-Wissen, das Mysterium, zusammen mit dem Vertrauen, dass es gut werden wird, sind Kräfte des Winters. Im Shiatsu erreichen wir diese Aspekte des Winters über zwei Meridiane, welche unter anderem unsere Regeneration unterstützen. Wir kommen zur Ruhe, zu uns selbst.

Autorin: Tatjana Wörner, Shiatsupraktikerin aus Hirschberg bei Heidelberg. Lehrerin am kiCollege.

 

Yin – Yang, das Tao und was das mit unserem Leben zu tun hat

Yin – Yang, das Tao und was das mit unserem Leben zu tun hat

Tao ist leer,

in seinem Wirken aber unerschöpflich“, heißt es im Tao Te King, dem alten chinesischen Klassiker der taoistischen Literatur.

Weiter:

„Tao ist ewig und namenlos,

Obwohl so einfach,

vermag die Welt noch nicht, es zu erfassen.“

Es erscheint mysteriös und ich versuche, zu erklären. Denn das Verständnis um das Tao ist so grundlegend wichtig, wenn wir uns mit unserem natürlichen Weg und einer gesunden Lebensführung befassen. Das Tao kann uns helfen, die Vorgänge des Lebens zu verstehen und den Ballast, der uns davon abhält, damit im Einklang zu sein, loszulassen.

Doch fangen wir nochmal oben an. Von was sprechen wir hier? 


Taoismus – die Lehre vom Tao.

Der Taoismus ist die ursprüngliche Religion und Philosophie Chinas, eine der drei Säulen, die das Leben und Denken in China maßgeblich geprägt haben (Taoismus, Buddhismus und Konfuzianismus)

Tao – ein Etwas oder ein Nicht-Etwas, dass sich laut Literatur nicht in Worte fassen lässt.

Das Tao wird oft als Weg oder Sinn übersetzt, hat aber eine viel umfassendere Bedeutung. Es gleicht eher einem Prinzip, welches jeder Schöpfung zu Grunde liegt. Doch dazu gleich mehr.

Tao Te King – das heilige Buch vom Tao, verfasst vor 2500 Jahren von dem chinesischen Weisen Lao-tse. So etwas wie die Bibel des Taoismus, nur sehr viel kürzer und einfacher.


Also zusammengefasst: es gibt ein Buch über das Tao. In diesem Buch steht, dass das Tao etwas ganz Großartiges sei, das man aber nicht benennen kann. Und es gibt eine Lehre vom Tao, die einem das Ganze auch nicht besser erklärt. 

Aus dem fernen Europa betrachtet klingt das alles erstmal etwas skuril. Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

Wir haben im Christentum unseren Gott schon oft beschrieben. Einen Bart hat er und er ist gütig, verzeiht alles, straft aber hart (um nur ein paar Eigenschaften zu nennen). Er hat einen Sohn und, ach, er scheint ein Mann zu sein. Ja, ja, hier entstehen eine ganze Menge Probleme und Missverständnisse. Wenn wir an die Wurzel unserer Religion kommen wollen, dürfen wir auch Gott nicht beschreiben. Auch Gott verkörpert ein Prinzip, welches jeder Schöpfung zu Grunde liegt und aus dieser göttlichen Kraft wird alles erschaffen, was wir auf dieser Welt und darüber hinaus zu sehen, zu hören und zu riechen bekommen. Wenn wir noch einen Schritt weiter gehen und uns von den Bildern, die unsere Religionen erschaffen haben, lösen, dürfen wir eine allem zugrunde liegende Urkraft finden. Eine Kraft, die alles durchströmt und den ganzen Laden hier am Laufen hält. Mit Newton und Darwin kommen wir da ganz einfach irgendwann an unsere Grenzen, doch das ist ein anderes Thema.

Der Taoismus stellt das Tao in seinen Mittelpunkt und sagt, folgt dem Tao und alles wird erschaffen, nichts bleibt ungetan. So bleibt alles in Veränderung und wir sind angebunden an unseren Sinn.

Man kann ganze Bücher füllen, um das Tao zu erklären. Doch will und kann ich das gar nicht. Das Tao will erfahren werden und es gibt zahllose Mögichkeiten, dies zu tun.

Betrachten wir das Tao als ein Schöpferprinzip, ergeben sich daraus Dinge, die wir ganz konkret greifen, hören, riechen, schmecken und erfahren können. Nehmen wir beispielsweise ein Kind, ein Mädchen, gezeugt von Mama und Papa, doch erschaffen vom Tao. Natürlich wird auch ein Junge vom Tao erschaffen. Oder ein Stein oder die Sonne. Auch Tag und Nacht werden erschaffen, sonst wären sie ja nicht da und erlebbar für uns.

Im Tao Te King steht

„Das Tao erzeugt das Eine,

das Eine erzeugt die Zwei,

die Zwei erzeugt die Drei,

die Drei erzeugt die abertausend Dinge.“

Also das Tao erzeugt zwei Extreme und zwischen diesen extremen Polen spielt sich das Leben ab. Diese Pole sind Mann und Frau, Tag und Nacht, oben und unten, alles und nichts. Sie gehören zusammen und lassen sich nicht voneinander trennen. Alles was wir erfahren und erleben bewegt sich zwischen zwei Polen. Diese Pole nennen die Chinesen Yin und Yang und ihnen zugrunde liegt das Tao.

Schon wenn wir den einfachen Schritt gehen, zu akzeptieren, dass es zu dem Yin auch ein Yang (und umgekehrt) gibt, wird unsere Leben schlagartig einfacher. Wir kämpfen nicht mehr gegen den Schatten, weil wir wissen, dass er zur Sonne gehört. Wir streiten nicht mehr mit dem Schmerz, weil er zu unserem Wohlbefinden dazugehört. Wir haben keine Angst mehr vor unserer Angst, weil wir wissen, dass es ohne sie auch keinen Mut gäbe. Ohne Altern keine Jugend, ohne Wahnsinn keinen Verstand, ohne Hass keine Liebe.

Es klingt verrückt und lässt uns fragen: Soll ich jetzt Hass in mein Leben lassen, um Liebe zu erleben. Ganz und gar nicht, doch kann es sehr heilsam sein, zu erkennen, dass Hass nie alleine steht. Und besser noch, wir können Yin mit Yang begegnen. Wenn Hass auf Liebe trifft, kommt etwas in Bewegung. Wenn Angst auf Mut trifft, werden neue Wege beschritten. Das Prinzip der Polaritäten läd dazu ein, das ganze Spektrum, welches zwischen den Polen liegt, zu nutzen. Kennen wir dieses Prinzip nicht, sind wir vielleicht geneigt, auf einer Seite zu verharren. Und das wäre nicht nur vergeudete Zeit und Energie, sondern lässt uns auch in ein Ungleichgewicht steuern. Am leichtesten nachvollziehbar dürfte der häufig vorkommende Fall von, sagen wir, Rückenschmerzen sein. Fehlt dem Mensch Bewegung, Leichtigkeit und Liebe und hat dafür übermäßig viel Unmut, Schwere und verbringt viele Stunden am Tag in statischer Körperhaltung, entwickelt er höchstwahrscheinlich irgendwann Rückenschmerzen. Der Gegenpol wird nicht gelebt. Oft lässt sich beobachten, dass Menschen, die besonders stark und lange an einem Pol ausharrten, zum Ausgleich ins andere Extrem rutschen. Um bei dem Beispiel zu bleiben wird hier im Urlaub vielleicht Extremsport gemacht und sehr viel Witz und Leichtigkeit gelebt. Vielleicht wird sich auch einer Romanze hingegeben. Das dient alles dem Ausgleich. Der Körper verlangt danach und holt sich, was er braucht.

Je weiter wir in unserem Handeln und Sein weg von diesen Polen sind, um so weniger Ausgleich benötigen wir. Und das heißt nicht, dass es immer besser und ertrebenswert wäre, sich in der Mitte dieser Pole zu befinden. Eine Frau ist eine Frau und wird sich nicht oder nur bedingt in die Mitte zwischen Mann und Frau bewegen. Wenn sie aber um das Gesetz von Yin und Yang weiß, wird sie z.B. nicht mehr gegen ihren Mann kämpfen, weil sie weiß, dass das ihr Partner ist oder zumindest sein kann.

Lass das Wissen um die Polaritäten in dein Leben und du wirst milder und verständisvoller werden. Das Tao hat alle nur erdenkliche Kraft und wir müssen es nicht verstehen, um diese Kraft zu nutzen.

Das Tao erzeugt das Eine,

das Eine erzeugt die Zwei

und das Leben nimmt Gestalt an.

Der Kampf kann enden und zu einer pendelnden Kraft zwischen Yin und Yang werden.

Autor: René Fix, Leiter des kiCollege

Ki, Mind & Matter

Ki, Mind & Matter

Wenn ich mit einer Klientin arbeite, die zu mir kommt, weil sie gesund werden will, kann ich mich entscheiden, Sie heilen zu wollen oder ich kann mich entscheiden, ihr Gesundwerden in den Fokus zu nehmen. Die Art und Weise, wie ich mich ausrichte, ist von zentraler Bedeutung für den Verlauf der Behandlung und für das, was dadurch entstehen kann.

Unser Geist steht ganz am Anfang, noch bevor wir ein Wort sagen, noch bevor wir unsere Hand bewegen. Unser Geist, der angebunden ist an das große, alles durchdringende Feld dieser Welt, sogar dieses Universums, dieser Geist steht immer am Anfang aller Manifestation.

Stell Dir vor, ein Tischler will einen Stuhl bauen. Der Stuhl ist im Geiste schon fix und fertig gebaut, bevor auch nur ein Spahn auf den Boden der Schreinerwerkstatt gefallen ist. Die Idee für den Stuhl, die dem Tischler in den Kopf „gekommen“ ist, steht in diesem Prozess ganz am Anfang. Genau genommen ist auch dieser Idee etwas vorweg gegangen, ohne das es nie zu diesem Stuhl gekommen wäre. Es ist mühsam, den wahren Ursprung zu finden. Dieser befindet sich in der Unendlichkeit.

Aus dieser ersten Idee formt sich eine konkrete Idee und der Entschluss, dies umzusetzen. Die Manifestation beginnt. Der Tischler fertigt eine Skizze an und beginnt die rohen Holzbohlen zu sichten und ein passendes Stück herauszusuchen. Im Detail betrachtet, ist der Prozess der Manifestation wahnsinnig komplex und vielschichtig. Bis der Stuhl fertig lackiert im Wohnzimmer steht und der erste Mensch sich darauf setzen kann, vergehen noch unendlich viele Schritte, bei denen der Geist immer wieder diese ursprüngliche Idee neu aufrollt, anpasst und verfeinert.

Ohne Geist kein Stuhl. Der Stuhl kann niemals unabhängig von dem Geist dieses Tischlers existieren. Jeder Gedanke zu diesem Stuhl, der dem Geist dieses Tischlers entsprungen ist, steckt in diesem Stuhl.

Ich finde diese Überlegung sehr faszinierend, denn sie hat kein Ende. Man kann bis in die Unendlichkeit weiter überlegen und sammeln, was alles durch den Geist des Tischlers über seine Hände in diesen Stuhl geflossen ist.

Doch Moment. Was fließt da eigentlich? Wir bewegen uns im Unsichtbaren und dennoch scheint klar zu sein, da muss etwas fließen. Vom Geist in den Körper und durch die Hände in das Holz. Wir nennen das Ki oder alldurchdringende Substanz. Doch Ki lässt sich nicht linear betrachten. Es fließt nicht rein und wieder raus aus dem Körper, wie das eine Flüssigkeit machen würde. Ki ist überall, wirklich überall und es hat eine Richtung und eine Kraft. Ki ist sozusagen das Medium, durch welches sich schöpferische Prozesse entfalten.

Dieses Ki hat viele Namen und viele Gesichter. Prana, Heiliger Geist, Lebensatem, Lebensenergie und Ch’i sind gebräuchliche Überschriften in verschiedenen Kulturen. Jeder von uns hat Erfahrungen damit, ganz konkrete und ganz subtile. Ohne diese Erfahrungen könnten wir uns nicht vom Fleck bewegen und keine Beziehung erleben.

Doch kommen wir zurück zum Geist.

> Der Geist steht am Anfang.

> Das Ki folgt dem Geist.

> Das sich bewegende Ki nimmt Gestalt an.

> So entsteht schöpferische Entfaltung.

KI FOLLOWS MIND

 

Was das für´s eigene Leben bedeutet, kann sich jeder selbst beantworten.

Du brauchst nur beobachten, was Du denkst und was sich davon im eigenen Leben manifestiert hat. Es gibt ganz offensichtliche Fälle und ganz versteckte. Setz Dich doch mal hier und jetzt für 10 Minuten hin und frag Dich, was Deine wichtigsten Gedanken zu Beziehung, Arbeit, Gesundheit und Geld sind und frag Dich dann, wie sich diese vier Bereiche in Deinem Leben gestaltet haben. Du wirst erstaunt sein.

In einer Shiatsusitzung ist das Wissen um Ki follows Mind ganz besonders wichtig. Wir wissen, dass der Heilsuchende sich nur selbst heilen kann. Wenn wir uns gedanklich also auf „ich will dich heilen“ ausrichten, kann das nicht funktionieren. Ich kann weder jemanden heilen, noch von etwas überzeugen, ich kann auch niemanden erziehen oder formen. Ich kann immer nur einladen und inspirieren, sozusagen einen Raum erschaffen, in dem dies geschehen darf. Wie kann ich das tun? Im Sinne von Ki follows Mind nehme ich genau das in den Fokus, was meinen Möglichkeiten entspricht und was eine realistische Chance hat, sich zu manifestieren.

Ich kann nicht heilen, aber ich kann einen Raum für Heilung kreieren.

Ich kann nicht bei dem anderen Aufräumen, aber ich kann einen Raum erschaffen, in dem der andere sich selbst erlaubt, aufzuräumen.

Ich kann auch bei der Klientin kein Loslassen erwirken, keinen Prozess beenden oder Veränderung beschleunigen. Jeder, der damit wirbt, spielt mit dem Feuer. Wenn der Klient nicht will, geht gar nichts.

Ich fokussiere also das, was sich durch mein Tun tatsächlich manifestieren kann. Wenn es mir gelingt, mich gedanklich voll darauf auszurichten, werde ich damit erfolgreich sein. Wenn ich mich darauf ausrichte, meine Klienten zu heilen, wird ganz viel von meiner Energie verpuffen und nicht von Nutzen sein, da ich etwas tun will, was nicht in meiner Macht liegt. Und es ist so verlockend, heilen zu wollen und meiner Klientin, die ja Heilung sucht, zu versprechen oder wenigstens zu suggerieren, dass ich sie mit Shiatsu heilen kann.

 

Autor: René Fix, Leiter des kiCollege

Zen, Shiatsu und die Kunst des Clowns

Zen, Shiatsu und die Kunst des Clowns

Ein Zen-Meister geht die Straße entlang. Ein Clown kommt aus der anderen Richtung. Sie treffen sich. Woher wissen sie, welcher der Zen-Meister und welcher der Clown ist?

Dies ist ein Koan, den ich mir gerade ausgedacht habe, inspiriert vom außergewöhnlichen Leben von Bernie Glassman, dessen Kombination aus Zen und Clowning faszinierende Möglichkeiten für die Betrachtung von Shiatsu eröffnet. Glassman hatte einen jüdischen Hintergrund in New York und fühlte sich in den 1970er Jahren zum Studium des Zen hingezogen, als das Interesse daran gerade erst begann, sein exponentielles Wachstum im amerikanischen Volksbewusstsein zu entwickeln. Er arbeitete in Los Angeles als Luftfahrtingenieur und wurde Schüler von Maezumi Roshi, einem engagierten jungen japanischen Zen-Priester, der als Kind Englisch gelernt hatte, indem er mit den amerikanischen Besatzungssoldaten Zeit verbrachte, die im Zen-Tempel seines Vaters in Japan untergebracht waren. Glassman tauchte ein ins Zen, studierte fünfzehn Jahre bei Maezumi und wurde selbst zum Zen-Priester geweiht. Bald darauf erfuhr er Widerstände im „Zen-Establishment“ und geriet in Schwierigkeiten, da er seine eigene Form des Buddhismus verfolgte, die ein hohes Maß an sozialem Engagement beinhaltete. Nach seiner Rückkehr nach New York eröffnete er eine Bäckerei, um Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot zu helfen. Aus dieser Bäckerei wurde schließlich ein philanthropisches Unternehmen im Wert von mehreren Millionen Dollar. Später war er Mitbegründer von Zen Peacemakers, einer internationalen Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Zeugnis und Heilung an Orten von Konflikten und Leiden zu bringen, einschließlich jährlicher Besuche in Auschwitz mit multireligiösen Gruppen.

 

Vom Trauma zum Clowning

Nun, wie wurde er Clown? In Gesprächen sei ihm aufgefallen, dass die Personen, die er in verantwortliche Positionen in Zen-Organisationen berufen hatte, sich selbst zu ernst nahmen. Er brauchte einen Weg, um ihnen zu helfen, weniger ernst zu sein. Das ist zweifellos ein Grund und weist auf eines der Schlüsselprinzipien des Clowns hin – und ebenso des Shiatsu. Versuche niemals, Probleme zu lösen, spiele einfach damit, bis sie sich selbst lösen. Ein Blick auf Glassmans Biografie zeigt jedoch, dass mit ziemlicher Sicherheit mehr dahinter steckt. Innerhalb von nur drei Jahren, bevor er mit dem Clowning begann, erlitt er zwei traumatische Trauerfälle. 1995 starb sein Lehrer Maezumi plötzlich und verblüffend – mit ziemlicher Sicherheit ein Selbstmord – und hinterließ ein Testament, das Glassman zum Leiter seiner White Plumb – Gemeinde ernannte. Dann, im Jahr 1998, nachdem Glassman gerade mit seiner Frau, der Zen-Lehrerin Sandra Jishu Holmes, von New York nach New Mexico gezogen war, in ein Haus, das sie sich als friedliches und schönes Refugium von den Belastungen ihrer Doppelkarriere vorgestellt hatte, erlitt sie einen Herzinfarkt und starb im Alter von nur 57 Jahren. Glassman – dessen Terminkalender normalerweise zwei Jahre im Voraus ausgebucht war – war zutiefst geschockt, kündigte alle seine Verpflichtungen und setzte sich einfach so lange mit seiner Trauer in Verbindung, wie es dauerte.

Bald darauf begann sein Studium des Clowns. Der Lehrer, den er fand, war Moshe Cohen, der nicht nur klassisches und modernes europäisches Clowning studiert hatte, sondern auch das japanische Kyōgen, eine Art komischer Gegenpart zum sehr formale Nōh-Theater, und Butoh, die moderne japanische Tanzform, die für ihre völlige Körperlichkeit und rohe emotionale Ehrlichkeit bekannt ist. Vielleicht war es sein Bekenntnis zu dieser gleichen Art von Ehrlichkeit, die Glassman zum Clownsspiel verleitet hat. Was auch immer auf der Bühne passiert, du akzeptierst es, begrüßt es, spielst damit, baust darauf auf. Dies stimmte eindeutig mit Glassman überein, dem sozial engagierten Buddhisten und Friedensaktivisten. Bei den Reisen, die er mit Gruppen nach Auschwitz organisierte, zu denen die Kinder der Überlebenden des Lagers und der dort tätigen SS-Wachen gehörten, ging es darum, gemeinsam Wege zu finden, um alles, was geschehen war, zu bezeugen und zu akzeptieren, eine gemeinsame Menschlichkeit und eine mitfühlende Beziehung zu finden im Angesicht des Schlimmsten, was die Menschheit tun kann.

Cohen stellte für sich fest, dass es, nun einen Zen-Meister als Schüler zu haben, seine Lehre veränderte. Bis dahin hatte er sich darauf konzentriert, darstellende Künstler auszubilden. Innerhalb weniger Jahre fingen er und Glassman an, Clowning Your Zen – Workshops zu unterrichten. Sie halfen allen, von buddhistischen Mönchen bis hin zu Unternehmensteams, wenn sie nicht erleuchtet werden wollten, dann zumindest, sich „aufzuhellen“ und die Grundprinzipien des Clowning zu nutzen, um eine Art und Weise der Kommunikation zu entwickeln, die geprägt ist von Achtsamkeit und Miteinander, um besser für einander und sich selbst zu sorgen.

 

Der Zen-Clown macht Shiatsu

Was würde also passieren, wenn wir diesen Zen-Clown-Ansatz in die Art und Weise bringen, wie wir Shiatsu lernen, lehren und üben? Schauen wir uns vier Grundprinzipien an und wie wir sie anwenden können. Das erste können wir Leere nennen. In der reinsten Form des Clowns betrittst du die Bühne ohne Drehbuch, ohne Agenda, ohne Plan und ohne Ego. Du bist einfach da, anwesend, hörst mit deinem ganzen Körper zu und bist bereit zu antworten. Der Raum, den du betrittst, ist bis auf ein einfaches Objekt – ein Stück Stoff auf dem Boden, einen Stuhl, einen Besen – ebenfalls leer. Deine Aufgabe ist es einfach, sich authentisch mit allem auseinanderzusetzen, was du dort findest. Peter Brook, einer der innovativsten Theaterregisseure seiner Generation, beginnt sein Buch „Der leere Raum“ damit, dass jeder leere Raum zur Bühne wird, sobald jemand darüber läuft, während jemand anderes zusieht. Im Shiatsu beginnt etwas zu passieren, sobald ein Klient den leeren Raum betritt, den ich für ihn halte. Das kann subtil sein und leicht übersehen werden, weshalb der Clown – wie der Shiatsu-Praktizierende – mit dem ganzen Körper zuhören muss.

Je mehr wir, wie Reg Ray in ‚Touching Enlightenment‘ sagt, verkörpert sind: ‚Je mehr wir eine weite und sich ausdehnende zwischenmenschliche Welt der Verbindung mit anderen Menschen entdecken … desto mehr spüren wir andere als untrennbar von uns selbst.‘ Und der buddhistische Gelehrte Stephen Batchelor hat darauf hingewiesen, dass diese Art des verkörperten Bewusstseins das ist, was der Buddha selbst ursprünglich meinte, als er sagte: “Ich wohne hauptsächlich in der Leere” … keine Negation des Selbst, sondern voll und ganz in dem verkörperten Raum der eigenen Sinneserfahrung, ungestört von gewohnheitsmäßigen Reaktionen. “In der Leere zu verweilen”, sagt Batchelor, “bringt uns fest auf die Erde und zurück in unseren Körper. Es ist eine Möglichkeit, die Augen zu öffnen und gewöhnliche Dinge wie zum ersten Mal zu sehen. ‘ Das ist definitiv die Art von Leere, in der sich der Zen-Clown aufhalten will.

 

‚Ja, und…‘

Wir könnten die zweite Fähigkeit Akzeptanz nennen. Aber wenn man dieses etwas langweilige Substantiv verclownt, verwandelt sich dies in ein energiegeladenes „Ja, und …”.
Die interaktive Kernkompetenz im Clowning ist, wie bei jeder Form der Theaterimprovisation, die Fähigkeit, zu jedem Angebot Ihres Clowning-Partners (oder in unserem Fall des Shiatsu-Kunden) „Ja“ zu sagen. Clowns spüren alle Emotionen tiefer als jeder andere, aber sie haben auch die Fähigkeit, bei diesen Emotionen zu bleiben, ohne sie zu unterdrücken oder zu ignorieren, bis etwas Positives aus der Tiefe auftauchen kann. “Ja, und …” ist eine außerordentlich wirksame Methode, um die Konversationsverbindung zu verstärken, oder im Fall von Shiatsu Ihre Verbindung mit Qi. Wenn ich mit der Idee von „Ja, und …” verbunden bin, während ich meinen Klienten berühre, erinnere ich mich daran, nicht nur offen zu sein, sondern auf fast ästhetische Weise wertzuschätzen, was meine Sinne mir über diesen Punkt und diese Person erzählen. Zudem ermöglicht es dem Qi des Kunden, mir auf direkteste und ehrlichste Weise zu antworten. Tatsächlich ist “Ja und …” eine Achtsamkeitspraxis für sich.

Der dritte Raum, Nicht-wissen, ist eine Fortsetzung dieser meditativen Verbindung. Wenn du dir erlaubst, nichts zu wissen, von dem du glaubst, dass du es wissen solltest, ist das, als würdest du unter Wasser schwimmen, in einem völlig anderen Element, in dem dich keine Geräusche der Oberflächenwelt ablenken können und du dich ganz auf deine direkte Sinneserfahrung konzentrieren kannst. Sowohl beim Clowning als auch beim Shiatsu wird daran erinnert, dass Wissen nicht vom Kopf kommt und dass es Zeit ist, wieder auf den ganzen Körper zu hören. Dies ist eine Einladung, sich aus dem reinen “Anfängergeist” zu öffnen, in dem es überhaupt keine Karten oder vorgefassten Vorstellungen gibt. Natürlich brauchen wir im klinischen Shiatsu unseren Experten, der es der linken Gehirnhälfte ermöglicht, Dinge zu benennen und in Kategorien einzuteilen. Die Sprache ermöglicht es uns, unsere Erfahrung zu konzipieren, zu manipulieren und zu bearbeiten und die Art von Verbindungen herzustellen, die wir vielleicht nicht herstellen könnten, wenn wir vollständig ‚im Moment leben‘ würden, wie die Idee der Achtsamkeit das manchmal zu implizieren scheint. Die Sprache trennt uns aber auch von unserer unmittelbaren Erfahrung der Sache, die wir mit der Sprache benennen und im Shiatsu brauchen wir diese unmittelbare Erfahrung mehr als alles andere. Die Berührung bringt uns zurück zum Körpergeist und zur Fähigkeit der rechten Hirnhemisphäre, empathische Verbindungen herzustellen. Stephen Batchelor beschreibt dies als: „Eine lebendige Wachsamkeit, die … an der Schwelle zwischen ‚es ist‘ und ‚es ist nicht‘ schwebt und sich dem verführerischen Reiz der Gewissheit widersetzt.“ Dieser Raum des Nichtwissens ist also eine Einladung, uns zu trainieren, in der Lage zu sein, die Leere zu bewohnen oder von ihr bewohnt zu werden, bevor Namen oder Bezeichnungen auftauchen (wobei wir uns natürlich immer daran erinnern, dass ‚Leere‘ auch nur ein weiterer Name ist).

 

Spielen, nicht reparieren

Das vierte Prinzip, Nicht-Tun, mag paradox erscheinen, um die Verspieltheit zu beschreiben, die das Markenzeichen des Clowns ist, aber es ist auch die Kernbotschaft des Tao Te King, dem eigentlichen Lehrbuch darüber wie das mit dem Qi funktioniert – zugegeben, so wird es selten beschrieben – ein sehr spielerisches Buch. Wer, außer einem Clown, würde Ihnen sagen, dass es unmöglich ist, über das Thema seines Buches zu schreiben? Aus der Sicht des Clowns bedeutet Nicht-Tun, niemals zu versuchen, ein Problem zu lösen, sondern einfach mit ihm zu sein und kreativ damit zu spielen, bis es einen Weg findet, sich selbst zu lösen. Für mich ist dies eine perfekte Erinnerung daran, wie wir im Shiatsu arbeiten, nicht pathologisieren oder versuchen, das Qi zu kontrollieren, sondern einfach respektvoll mit der Energie in einem System präsent zu sein und es seine eigenen Verbindungen herstellen zu lassen. Das ist Nicht-Tun in Aktion.

In seinen späten Siebzigern hatte Glassman einen Schlaganfall, der die rechte Seite seines Körpers und seine Sprache stark beeinträchtigte. Er wandte seine Zen-Clown-Prinzipien auf das an, was das Leben gerade auf ihn geworfen hatte und arbeitete jeden Tag mit Feldenkrais-Übungen, die häufige Ruhephasen beinhalteten, damit das Gehirn verarbeiten konnte, was der Körper gerade getan hatte. In diesen Ruhephasen befand sich Glassman in einem tiefen Zustand des Nichtwissens auf einem Niveau, das er noch nie zuvor erlebt hatte. Er überraschte seine Reha-Therapeuten mit dem Tempo, mit dem er sowohl Bewegung als auch Sprache wiedererlangen konnte. Monate später kamen einige Freunde zu Besuch und in dem Gespräch fragte ihn jemand, wie so oft in dieser Art Geschichten: „Was ist die Essenz von Zen?“ Glassman sah sie an und bemerkte, obwohl er seine Sprache vollständig zurückerlangt hat, dass er keine keine Ahnung hatte, was er sagen sollte. Die Frage wurde ihm unzählige Male gestellt und er hatte nie Probleme, sie zu beantworten. Jetzt wusste er nur noch, dass er es fühlen konnte, aber keine Worte hatte, um es zu beschreiben. “Was das für mich getan hat, war riesig”, sagte er später. „Ein riesiges Gefühl der Freude. Oder ein Gefühl von … mein Gott! Ich weiß nicht, was das ist, und jetzt kann ich es herausfinden … das ist es, woran ich mich erinnere, dieser Zustand, in dem ich gerade war: Wow. Ich habe eine neue Chance zu klären, was das bedeutet.“

 

„Ein andauernder Fehler …”

Im Shiatsu zieht uns der verbale Verstand immer wieder in seine eigene Art des Denkens zurück, in Routine und Technik, auf der Suche nach Gewissheit und nach gewünschten Ergebnissen. Zen entstand als Reaktion auf diese Art des Denkens, und genau wie Zen es im Laufe der Jahrhunderte für notwendig hielt, sich zu „erfrischen“ (im Westen zu sein, war eine Möglichkeit, dies zu tun), können wir im Shiatsu die Prinzipien des Zen-Clowns verwenden, um unsere Art und Weise, mit den Klienten zu sein, zu erfrischen und neu anzugehen – immer wieder in die Leere zurückkehren und zu allem Ja sagen, was kommt, ohne wissen zu müssen, was es ist oder wie man es in Worten beschreibt. Und wenn es darum geht, kreativ zu spielen, gibt es noch eine weitere geheime Zutat: gerate in Schwierigkeiten und fürchte dich nicht vor Fehlern. Das ist es, was Clowns lustig macht und, wie der Zen-Meister Dogen aus dem 13. Jahrhundert sagte, “Zen ist ein andauernder Fehler“.

Autor: Nick Pole, Shiatsupraktiker und -lehrer in London, GB, www.nickpole.com

Nick Poles Arbeit integriert Shiatsu, Clean Language und verschiedene achtsame Ansätze. Er verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der östlichen und westlichen Form der Geist-Körper-Therapie und hat auch eine Ausbildung in achtsamer kognitiver Therapie absolviert. Er ist der Leiter von London Mindful Practitioners, einer gemeinnützigen Hilfsgruppe für Angehörige der Gesundheitsberufe, die Achtsamkeit in ihrer Arbeit einsetzen. Sein Buch „Words That Touch – How to ask questions your body can answer“ (2017) ist ein umfassender Leitfaden zur Verwendung von Clean Language in der Geist-Körper- Therapie.

 


Mit freundlicher Genehmigung von Nick Pole.
Dieser Artikel wurde zuerst im Shiatsu Society Journal, GB Autumn 2019 Issue veröffentlicht.