Ki, Mind & Matter

Ki, Mind & Matter

Wenn ich mit einer Klientin arbeite, die zu mir kommt, weil sie gesund werden will, kann ich mich entscheiden, Sie heilen zu wollen oder ich kann mich entscheiden, ihr Gesundwerden in den Fokus zu nehmen. Die Art und Weise, wie ich mich ausrichte, ist von zentraler Bedeutung für den Verlauf der Behandlung und für das, was dadurch entstehen kann.

Unser Geist steht ganz am Anfang, noch bevor wir ein Wort sagen, noch bevor wir unsere Hand bewegen. Unser Geist, der angebunden ist an das große, alles durchdringende Feld dieser Welt, sogar dieses Universums, dieser Geist steht immer am Anfang aller Manifestation.

Stell Dir vor, ein Tischler will einen Stuhl bauen. Der Stuhl ist im Geiste schon fix und fertig gebaut, bevor auch nur ein Spahn auf den Boden der Schreinerwerkstatt gefallen ist. Die Idee für den Stuhl, die dem Tischler in den Kopf „gekommen“ ist, steht in diesem Prozess ganz am Anfang. Genau genommen ist auch dieser Idee etwas vorweg gegangen, ohne das es nie zu diesem Stuhl gekommen wäre. Es ist mühsam, den wahren Ursprung zu finden. Dieser befindet sich in der Unendlichkeit.

Aus dieser ersten Idee formt sich eine konkrete Idee und der Entschluss, dies umzusetzen. Die Manifestation beginnt. Der Tischler fertigt eine Skizze an und beginnt die rohen Holzbohlen zu sichten und ein passendes Stück herauszusuchen. Im Detail betrachtet, ist der Prozess der Manifestation wahnsinnig komplex und vielschichtig. Bis der Stuhl fertig lackiert im Wohnzimmer steht und der erste Mensch sich darauf setzen kann, vergehen noch unendlich viele Schritte, bei denen der Geist immer wieder diese ursprüngliche Idee neu aufrollt, anpasst und verfeinert.

Ohne Geist kein Stuhl. Der Stuhl kann niemals unabhängig von dem Geist dieses Tischlers existieren. Jeder Gedanke zu diesem Stuhl, der dem Geist dieses Tischlers entsprungen ist, steckt in diesem Stuhl.

Ich finde diese Überlegung sehr faszinierend, denn sie hat kein Ende. Man kann bis in die Unendlichkeit weiter überlegen und sammeln, was alles durch den Geist des Tischlers über seine Hände in diesen Stuhl geflossen ist.

Doch Moment. Was fließt da eigentlich? Wir bewegen uns im Unsichtbaren und dennoch scheint klar zu sein, da muss etwas fließen. Vom Geist in den Körper und durch die Hände in das Holz. Wir nennen das Ki oder alldurchdringende Substanz. Doch Ki lässt sich nicht linear betrachten. Es fließt nicht rein und wieder raus aus dem Körper, wie das eine Flüssigkeit machen würde. Ki ist überall, wirklich überall und es hat eine Richtung und eine Kraft. Ki ist sozusagen das Medium, durch welches sich schöpferische Prozesse entfalten.

Dieses Ki hat viele Namen und viele Gesichter. Prana, Heiliger Geist, Lebensatem, Lebensenergie und Ch’i sind gebräuchliche Überschriften in verschiedenen Kulturen. Jeder von uns hat Erfahrungen damit, ganz konkrete und ganz subtile. Ohne diese Erfahrungen könnten wir uns nicht vom Fleck bewegen und keine Beziehung erleben.

Doch kommen wir zurück zum Geist.

> Der Geist steht am Anfang.

> Das Ki folgt dem Geist.

> Das sich bewegende Ki nimmt Gestalt an.

> So entsteht schöpferische Entfaltung.

KI FOLLOWS MIND

 

Was das für´s eigene Leben bedeutet, kann sich jeder selbst beantworten.

Du brauchst nur beobachten, was Du denkst und was sich davon im eigenen Leben manifestiert hat. Es gibt ganz offensichtliche Fälle und ganz versteckte. Setz Dich doch mal hier und jetzt für 10 Minuten hin und frag Dich, was Deine wichtigsten Gedanken zu Beziehung, Arbeit, Gesundheit und Geld sind und frag Dich dann, wie sich diese vier Bereiche in Deinem Leben gestaltet haben. Du wirst erstaunt sein.

In einer Shiatsusitzung ist das Wissen um Ki follows Mind ganz besonders wichtig. Wir wissen, dass der Heilsuchende sich nur selbst heilen kann. Wenn wir uns gedanklich also auf „ich will dich heilen“ ausrichten, kann das nicht funktionieren. Ich kann weder jemanden heilen, noch von etwas überzeugen, ich kann auch niemanden erziehen oder formen. Ich kann immer nur einladen und inspirieren, sozusagen einen Raum erschaffen, in dem dies geschehen darf. Wie kann ich das tun? Im Sinne von Ki follows Mind nehme ich genau das in den Fokus, was meinen Möglichkeiten entspricht und was eine realistische Chance hat, sich zu manifestieren.

Ich kann nicht heilen, aber ich kann einen Raum für Heilung kreieren.

Ich kann nicht bei dem anderen Aufräumen, aber ich kann einen Raum erschaffen, in dem der andere sich selbst erlaubt, aufzuräumen.

Ich kann auch bei der Klientin kein Loslassen erwirken, keinen Prozess beenden oder Veränderung beschleunigen. Jeder, der damit wirbt, spielt mit dem Feuer. Wenn der Klient nicht will, geht gar nichts.

Ich fokussiere also das, was sich durch mein Tun tatsächlich manifestieren kann. Wenn es mir gelingt, mich gedanklich voll darauf auszurichten, werde ich damit erfolgreich sein. Wenn ich mich darauf ausrichte, meine Klienten zu heilen, wird ganz viel von meiner Energie verpuffen und nicht von Nutzen sein, da ich etwas tun will, was nicht in meiner Macht liegt. Und es ist so verlockend, heilen zu wollen und meiner Klientin, die ja Heilung sucht, zu versprechen oder wenigstens zu suggerieren, dass ich sie mit Shiatsu heilen kann.

 

Autor: René Fix, Leiter des kiCollege

So schwer und doch so leicht

So schwer und doch so leicht

Wir hatten am vergangenen Wochenende ein wundervolles Workshopwochenende mit Kyoko Kishi. 26 Teilnehmer*innen, die zum Teil ihre Sei-ki – Erfahrungen vertieft haben oder diese Arbeit ganz neu kennengelernt haben.

Sei-ki ist sehr einfach und sehr schwer zu gleich.

Einfach, weil es kaum etwas zu wissen gibt und man nur dem folgt, was jetzt ist. Es gibt keine konzeptionelle Herangehensweise. Man verbindet sich mit der eigenen Kraft, findet eine möglichst spannungsfreie Haltung und verbindet sich mit dem Behandlungspartner oder der Behandlungspartnerin. Es entsteht Raum, das Atmen verändert sich, es zeigt sich ein Punkt und eine innere Bewegung. Der Geist ist leer und man ist in tiefem Kontakt mit dieser Bewegung. Man beobachtet. Ist im Hier und Jetzt. Es gibt nichts zu tun. Man muss nichts wissen über Meridiane oder Physiologie. Man muss nicht analysieren und diagnostizieren, um dann eine bestimmte Vorgehensweise umzusetzen. In diesem Sinne basiert die Herangehensweise nicht auf einem Konzept. Es geschieht einfach. Ganz natürlich. Und das heißt nicht, dass es beliebig ist. Ganz im Gegenteil. Es ist sehr konkret und für die Behandlerin im besten Fall absolut eindeutig, was geschieht.

Und hier kommt die Schwierigkeit. Eindeutig ist etwas nur, wenn keine Zweifel im Kopf sind. Doch wir sind denkende Wesen, die gerne analysieren und beurteilen und sehr gerne auch Zweifeln. In der Analyse, im Urteilen, im wissensbasierten Handeln und im Zweifel findet kein Sei-ki statt. Der Kopf muss leer sein, könnte man sagen. Doch das ist er selten. Kaum jemand kann diesen „Zustand“ der Leere oder Ich-Losigkeit über längere Zeit aufrecht erhalten. Doch es gibt noch einen Zwischenweg: Wir haften nicht an. Die Gedanken kommen und gehen. Wir lassen sie ziehen und identifizieren uns nicht mit ihnen. Wir nutzen sie nicht für eine Bewertung der Situation oder der anderen Person. Wir widmen uns dem Sein und nicht dem Tun. Dies ist ein Training. Manchen gelingt das leichter, für andere stellt sich hier eine große Herausforderung.

Immer wieder kamen in dem Workshop Fragen nach Meridianen, Akupunkturpunkten und weiteren Zusammenhängen. Hier endet Sei-ki.  

Sei-ki ist die große kraftvolle Einladung, auszusteigen aus dem Denken. Der Körper weiß alles. Er hat das volle Potential, sich selbst zu regulieren. Als Sei-ki – Praktizierende erkennen wir das an. Wir wissen das. Ohne Zweifel. Und wir geben uns dem hin. Und so gibt es kein Tun im Sei-ki. Wir sind mit der Klientin und geben dem Raum, was ist. Und erneut weise ich darauf hin, dass das nicht beliebig ist. Wir geben nicht einfach nur „irgendwie“ Raum.

Die biologischen Regulationsmechanismen folgen einem Plan. Der Körper hat ein ganz klares Vorgehen, z.B. einen gebrochenen Knochen zu reparieren. Blutung, Entzündung, Hormonausschüttung,  Knochenbildung, Knochenhärtung, etc.

So ist das bei allen physiologischen Vorgängen im Körper. Es gibt einen „Vorfall“ und es startet ein „Programm“. Und das gilt genauso für psychische, emotional oder spirituelle Vorgänge. Sie sind von körperlichen Vorgängen nicht zu trennen.

Die Kunst ist nun, dem Raum zu geben, was jetzt ansteht. Und wir müssen nicht wissen, was das ist. Wir müssen es nicht benennen können. Doch wir müssen im Sei-ki fühlen und erkennen, welcher inneren Bewegung jetzt große Aufmerksamkeit zukommen muss, um dieser Bewegung Raum zu geben.

Dazu müssen wir den Kopf leer bekommen. Es ist ein der Intuition ähnlicher Zustand. Es ist klares Wissen ohne Wissen. Wenn Du an einer roten Fußgängerampel stehst, neben Dir ein Kind und auf der Straße schnelle Autos und dieses Kind auf einmal losläuft, weißt Du, was zu tun ist. Du schnappst das Kind am Kragen und ziehst es zurück. Noch einen Moment zuvor hast Du nicht darüber nachgedacht. Kein Wissen war grundlegend für Dein Handeln. Doch Dein Handeln war klar und eindeutig.

Du kennst vielleicht den Satz aus dem Tao Te King: Das Tao das beschrieben ist, ist nicht das Tao.

Ein verrückter Satz irgendwie. Denn er steht in einem Buch über das Tao.

Es ist so ähnlich mit Sei-ki. Das Sei-ki das beschrieben ist, ist nicht das Sei-ki. Und doch schreibe ich darüber.

Ich bitte, dies zu entschuldigen… 🙂

 

Autor: René Fix, Leiter des kiCollege

Körpergeist

Körpergeist

Körpergeist ist eins.

Kalligrafie von Akinobu Kishi
Quelle: “Sei-ki, das Verborgene in der Kunst des Shiatsu. In Resonanz mit dem Leben.” von A. Kishi und A. Whieldon

 

 

Sei-ki ist Körperarbeit. Es gibt keine Trennung von Körper, Geist und Seele. Alles ist eins. Dein Wesen manifestiert sich in Deinem Körper.

Wir berühren den Körper.
Alles wird berührt.
Wir berühren die Seele. Sie scheint in jeder Zelle.
Wir sind verbunden: Nicht A mit B oder Körper mit Geist.
Wir sind verbunden im Eins-Sein.
Wir sind verbunden im Sein.

Und es ist so schwer zu verstehen für uns.

 

 

 

Autor: René Fix, Leiter des kiCollege

 

Zen, Shiatsu und die Kunst des Clowns

Zen, Shiatsu und die Kunst des Clowns

Ein Zen-Meister geht die Straße entlang. Ein Clown kommt aus der anderen Richtung. Sie treffen sich. Woher wissen sie, welcher der Zen-Meister und welcher der Clown ist?

Dies ist ein Koan, den ich mir gerade ausgedacht habe, inspiriert vom außergewöhnlichen Leben von Bernie Glassman, dessen Kombination aus Zen und Clowning faszinierende Möglichkeiten für die Betrachtung von Shiatsu eröffnet. Glassman hatte einen jüdischen Hintergrund in New York und fühlte sich in den 1970er Jahren zum Studium des Zen hingezogen, als das Interesse daran gerade erst begann, sein exponentielles Wachstum im amerikanischen Volksbewusstsein zu entwickeln. Er arbeitete in Los Angeles als Luftfahrtingenieur und wurde Schüler von Maezumi Roshi, einem engagierten jungen japanischen Zen-Priester, der als Kind Englisch gelernt hatte, indem er mit den amerikanischen Besatzungssoldaten Zeit verbrachte, die im Zen-Tempel seines Vaters in Japan untergebracht waren. Glassman tauchte ein ins Zen, studierte fünfzehn Jahre bei Maezumi und wurde selbst zum Zen-Priester geweiht. Bald darauf erfuhr er Widerstände im „Zen-Establishment“ und geriet in Schwierigkeiten, da er seine eigene Form des Buddhismus verfolgte, die ein hohes Maß an sozialem Engagement beinhaltete. Nach seiner Rückkehr nach New York eröffnete er eine Bäckerei, um Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot zu helfen. Aus dieser Bäckerei wurde schließlich ein philanthropisches Unternehmen im Wert von mehreren Millionen Dollar. Später war er Mitbegründer von Zen Peacemakers, einer internationalen Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Zeugnis und Heilung an Orten von Konflikten und Leiden zu bringen, einschließlich jährlicher Besuche in Auschwitz mit multireligiösen Gruppen.

 

Vom Trauma zum Clowning

Nun, wie wurde er Clown? In Gesprächen sei ihm aufgefallen, dass die Personen, die er in verantwortliche Positionen in Zen-Organisationen berufen hatte, sich selbst zu ernst nahmen. Er brauchte einen Weg, um ihnen zu helfen, weniger ernst zu sein. Das ist zweifellos ein Grund und weist auf eines der Schlüsselprinzipien des Clowns hin – und ebenso des Shiatsu. Versuche niemals, Probleme zu lösen, spiele einfach damit, bis sie sich selbst lösen. Ein Blick auf Glassmans Biografie zeigt jedoch, dass mit ziemlicher Sicherheit mehr dahinter steckt. Innerhalb von nur drei Jahren, bevor er mit dem Clowning begann, erlitt er zwei traumatische Trauerfälle. 1995 starb sein Lehrer Maezumi plötzlich und verblüffend – mit ziemlicher Sicherheit ein Selbstmord – und hinterließ ein Testament, das Glassman zum Leiter seiner White Plumb – Gemeinde ernannte. Dann, im Jahr 1998, nachdem Glassman gerade mit seiner Frau, der Zen-Lehrerin Sandra Jishu Holmes, von New York nach New Mexico gezogen war, in ein Haus, das sie sich als friedliches und schönes Refugium von den Belastungen ihrer Doppelkarriere vorgestellt hatte, erlitt sie einen Herzinfarkt und starb im Alter von nur 57 Jahren. Glassman – dessen Terminkalender normalerweise zwei Jahre im Voraus ausgebucht war – war zutiefst geschockt, kündigte alle seine Verpflichtungen und setzte sich einfach so lange mit seiner Trauer in Verbindung, wie es dauerte.

Bald darauf begann sein Studium des Clowns. Der Lehrer, den er fand, war Moshe Cohen, der nicht nur klassisches und modernes europäisches Clowning studiert hatte, sondern auch das japanische Kyōgen, eine Art komischer Gegenpart zum sehr formale Nōh-Theater, und Butoh, die moderne japanische Tanzform, die für ihre völlige Körperlichkeit und rohe emotionale Ehrlichkeit bekannt ist. Vielleicht war es sein Bekenntnis zu dieser gleichen Art von Ehrlichkeit, die Glassman zum Clownsspiel verleitet hat. Was auch immer auf der Bühne passiert, du akzeptierst es, begrüßt es, spielst damit, baust darauf auf. Dies stimmte eindeutig mit Glassman überein, dem sozial engagierten Buddhisten und Friedensaktivisten. Bei den Reisen, die er mit Gruppen nach Auschwitz organisierte, zu denen die Kinder der Überlebenden des Lagers und der dort tätigen SS-Wachen gehörten, ging es darum, gemeinsam Wege zu finden, um alles, was geschehen war, zu bezeugen und zu akzeptieren, eine gemeinsame Menschlichkeit und eine mitfühlende Beziehung zu finden im Angesicht des Schlimmsten, was die Menschheit tun kann.

Cohen stellte für sich fest, dass es, nun einen Zen-Meister als Schüler zu haben, seine Lehre veränderte. Bis dahin hatte er sich darauf konzentriert, darstellende Künstler auszubilden. Innerhalb weniger Jahre fingen er und Glassman an, Clowning Your Zen – Workshops zu unterrichten. Sie halfen allen, von buddhistischen Mönchen bis hin zu Unternehmensteams, wenn sie nicht erleuchtet werden wollten, dann zumindest, sich „aufzuhellen“ und die Grundprinzipien des Clowning zu nutzen, um eine Art und Weise der Kommunikation zu entwickeln, die geprägt ist von Achtsamkeit und Miteinander, um besser für einander und sich selbst zu sorgen.

 

Der Zen-Clown macht Shiatsu

Was würde also passieren, wenn wir diesen Zen-Clown-Ansatz in die Art und Weise bringen, wie wir Shiatsu lernen, lehren und üben? Schauen wir uns vier Grundprinzipien an und wie wir sie anwenden können. Das erste können wir Leere nennen. In der reinsten Form des Clowns betrittst du die Bühne ohne Drehbuch, ohne Agenda, ohne Plan und ohne Ego. Du bist einfach da, anwesend, hörst mit deinem ganzen Körper zu und bist bereit zu antworten. Der Raum, den du betrittst, ist bis auf ein einfaches Objekt – ein Stück Stoff auf dem Boden, einen Stuhl, einen Besen – ebenfalls leer. Deine Aufgabe ist es einfach, sich authentisch mit allem auseinanderzusetzen, was du dort findest. Peter Brook, einer der innovativsten Theaterregisseure seiner Generation, beginnt sein Buch „Der leere Raum“ damit, dass jeder leere Raum zur Bühne wird, sobald jemand darüber läuft, während jemand anderes zusieht. Im Shiatsu beginnt etwas zu passieren, sobald ein Klient den leeren Raum betritt, den ich für ihn halte. Das kann subtil sein und leicht übersehen werden, weshalb der Clown – wie der Shiatsu-Praktizierende – mit dem ganzen Körper zuhören muss.

Je mehr wir, wie Reg Ray in ‚Touching Enlightenment‘ sagt, verkörpert sind: ‚Je mehr wir eine weite und sich ausdehnende zwischenmenschliche Welt der Verbindung mit anderen Menschen entdecken … desto mehr spüren wir andere als untrennbar von uns selbst.‘ Und der buddhistische Gelehrte Stephen Batchelor hat darauf hingewiesen, dass diese Art des verkörperten Bewusstseins das ist, was der Buddha selbst ursprünglich meinte, als er sagte: “Ich wohne hauptsächlich in der Leere” … keine Negation des Selbst, sondern voll und ganz in dem verkörperten Raum der eigenen Sinneserfahrung, ungestört von gewohnheitsmäßigen Reaktionen. “In der Leere zu verweilen”, sagt Batchelor, “bringt uns fest auf die Erde und zurück in unseren Körper. Es ist eine Möglichkeit, die Augen zu öffnen und gewöhnliche Dinge wie zum ersten Mal zu sehen. ‘ Das ist definitiv die Art von Leere, in der sich der Zen-Clown aufhalten will.

 

‚Ja, und…‘

Wir könnten die zweite Fähigkeit Akzeptanz nennen. Aber wenn man dieses etwas langweilige Substantiv verclownt, verwandelt sich dies in ein energiegeladenes „Ja, und …”.
Die interaktive Kernkompetenz im Clowning ist, wie bei jeder Form der Theaterimprovisation, die Fähigkeit, zu jedem Angebot Ihres Clowning-Partners (oder in unserem Fall des Shiatsu-Kunden) „Ja“ zu sagen. Clowns spüren alle Emotionen tiefer als jeder andere, aber sie haben auch die Fähigkeit, bei diesen Emotionen zu bleiben, ohne sie zu unterdrücken oder zu ignorieren, bis etwas Positives aus der Tiefe auftauchen kann. “Ja, und …” ist eine außerordentlich wirksame Methode, um die Konversationsverbindung zu verstärken, oder im Fall von Shiatsu Ihre Verbindung mit Qi. Wenn ich mit der Idee von „Ja, und …” verbunden bin, während ich meinen Klienten berühre, erinnere ich mich daran, nicht nur offen zu sein, sondern auf fast ästhetische Weise wertzuschätzen, was meine Sinne mir über diesen Punkt und diese Person erzählen. Zudem ermöglicht es dem Qi des Kunden, mir auf direkteste und ehrlichste Weise zu antworten. Tatsächlich ist “Ja und …” eine Achtsamkeitspraxis für sich.

Der dritte Raum, Nicht-wissen, ist eine Fortsetzung dieser meditativen Verbindung. Wenn du dir erlaubst, nichts zu wissen, von dem du glaubst, dass du es wissen solltest, ist das, als würdest du unter Wasser schwimmen, in einem völlig anderen Element, in dem dich keine Geräusche der Oberflächenwelt ablenken können und du dich ganz auf deine direkte Sinneserfahrung konzentrieren kannst. Sowohl beim Clowning als auch beim Shiatsu wird daran erinnert, dass Wissen nicht vom Kopf kommt und dass es Zeit ist, wieder auf den ganzen Körper zu hören. Dies ist eine Einladung, sich aus dem reinen “Anfängergeist” zu öffnen, in dem es überhaupt keine Karten oder vorgefassten Vorstellungen gibt. Natürlich brauchen wir im klinischen Shiatsu unseren Experten, der es der linken Gehirnhälfte ermöglicht, Dinge zu benennen und in Kategorien einzuteilen. Die Sprache ermöglicht es uns, unsere Erfahrung zu konzipieren, zu manipulieren und zu bearbeiten und die Art von Verbindungen herzustellen, die wir vielleicht nicht herstellen könnten, wenn wir vollständig ‚im Moment leben‘ würden, wie die Idee der Achtsamkeit das manchmal zu implizieren scheint. Die Sprache trennt uns aber auch von unserer unmittelbaren Erfahrung der Sache, die wir mit der Sprache benennen und im Shiatsu brauchen wir diese unmittelbare Erfahrung mehr als alles andere. Die Berührung bringt uns zurück zum Körpergeist und zur Fähigkeit der rechten Hirnhemisphäre, empathische Verbindungen herzustellen. Stephen Batchelor beschreibt dies als: „Eine lebendige Wachsamkeit, die … an der Schwelle zwischen ‚es ist‘ und ‚es ist nicht‘ schwebt und sich dem verführerischen Reiz der Gewissheit widersetzt.“ Dieser Raum des Nichtwissens ist also eine Einladung, uns zu trainieren, in der Lage zu sein, die Leere zu bewohnen oder von ihr bewohnt zu werden, bevor Namen oder Bezeichnungen auftauchen (wobei wir uns natürlich immer daran erinnern, dass ‚Leere‘ auch nur ein weiterer Name ist).

 

Spielen, nicht reparieren

Das vierte Prinzip, Nicht-Tun, mag paradox erscheinen, um die Verspieltheit zu beschreiben, die das Markenzeichen des Clowns ist, aber es ist auch die Kernbotschaft des Tao Te King, dem eigentlichen Lehrbuch darüber wie das mit dem Qi funktioniert – zugegeben, so wird es selten beschrieben – ein sehr spielerisches Buch. Wer, außer einem Clown, würde Ihnen sagen, dass es unmöglich ist, über das Thema seines Buches zu schreiben? Aus der Sicht des Clowns bedeutet Nicht-Tun, niemals zu versuchen, ein Problem zu lösen, sondern einfach mit ihm zu sein und kreativ damit zu spielen, bis es einen Weg findet, sich selbst zu lösen. Für mich ist dies eine perfekte Erinnerung daran, wie wir im Shiatsu arbeiten, nicht pathologisieren oder versuchen, das Qi zu kontrollieren, sondern einfach respektvoll mit der Energie in einem System präsent zu sein und es seine eigenen Verbindungen herstellen zu lassen. Das ist Nicht-Tun in Aktion.

In seinen späten Siebzigern hatte Glassman einen Schlaganfall, der die rechte Seite seines Körpers und seine Sprache stark beeinträchtigte. Er wandte seine Zen-Clown-Prinzipien auf das an, was das Leben gerade auf ihn geworfen hatte und arbeitete jeden Tag mit Feldenkrais-Übungen, die häufige Ruhephasen beinhalteten, damit das Gehirn verarbeiten konnte, was der Körper gerade getan hatte. In diesen Ruhephasen befand sich Glassman in einem tiefen Zustand des Nichtwissens auf einem Niveau, das er noch nie zuvor erlebt hatte. Er überraschte seine Reha-Therapeuten mit dem Tempo, mit dem er sowohl Bewegung als auch Sprache wiedererlangen konnte. Monate später kamen einige Freunde zu Besuch und in dem Gespräch fragte ihn jemand, wie so oft in dieser Art Geschichten: „Was ist die Essenz von Zen?“ Glassman sah sie an und bemerkte, obwohl er seine Sprache vollständig zurückerlangt hat, dass er keine keine Ahnung hatte, was er sagen sollte. Die Frage wurde ihm unzählige Male gestellt und er hatte nie Probleme, sie zu beantworten. Jetzt wusste er nur noch, dass er es fühlen konnte, aber keine Worte hatte, um es zu beschreiben. “Was das für mich getan hat, war riesig”, sagte er später. „Ein riesiges Gefühl der Freude. Oder ein Gefühl von … mein Gott! Ich weiß nicht, was das ist, und jetzt kann ich es herausfinden … das ist es, woran ich mich erinnere, dieser Zustand, in dem ich gerade war: Wow. Ich habe eine neue Chance zu klären, was das bedeutet.“

 

„Ein andauernder Fehler …”

Im Shiatsu zieht uns der verbale Verstand immer wieder in seine eigene Art des Denkens zurück, in Routine und Technik, auf der Suche nach Gewissheit und nach gewünschten Ergebnissen. Zen entstand als Reaktion auf diese Art des Denkens, und genau wie Zen es im Laufe der Jahrhunderte für notwendig hielt, sich zu „erfrischen“ (im Westen zu sein, war eine Möglichkeit, dies zu tun), können wir im Shiatsu die Prinzipien des Zen-Clowns verwenden, um unsere Art und Weise, mit den Klienten zu sein, zu erfrischen und neu anzugehen – immer wieder in die Leere zurückkehren und zu allem Ja sagen, was kommt, ohne wissen zu müssen, was es ist oder wie man es in Worten beschreibt. Und wenn es darum geht, kreativ zu spielen, gibt es noch eine weitere geheime Zutat: gerate in Schwierigkeiten und fürchte dich nicht vor Fehlern. Das ist es, was Clowns lustig macht und, wie der Zen-Meister Dogen aus dem 13. Jahrhundert sagte, “Zen ist ein andauernder Fehler“.

Autor: Nick Pole, Shiatsupraktiker und -lehrer in London, GB, www.nickpole.com

Nick Poles Arbeit integriert Shiatsu, Clean Language und verschiedene achtsame Ansätze. Er verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der östlichen und westlichen Form der Geist-Körper-Therapie und hat auch eine Ausbildung in achtsamer kognitiver Therapie absolviert. Er ist der Leiter von London Mindful Practitioners, einer gemeinnützigen Hilfsgruppe für Angehörige der Gesundheitsberufe, die Achtsamkeit in ihrer Arbeit einsetzen. Sein Buch „Words That Touch – How to ask questions your body can answer“ (2017) ist ein umfassender Leitfaden zur Verwendung von Clean Language in der Geist-Körper- Therapie.

 


Mit freundlicher Genehmigung von Nick Pole.
Dieser Artikel wurde zuerst im Shiatsu Society Journal, GB Autumn 2019 Issue veröffentlicht.

 

Die Sprache der Seele

Die Sprache der Seele

Er hat volles Haar, trotz seines Alters. Wann immer er das Gefühl hat, dass sein Haar zerzaust ist, schiebt er es sanft an seinen Platz zurück, denn das Haar muss in Ordnung sein, es ist, was seinen Kopf nach oben hin verschließt und nicht zulässt, dass seine endlosen Gedanken, das Geräusch von quietschenden und kreischenden Stimmen und das Geräusch von panisch herumfliegenden Vögeln sich in dem Raum auflösen, der über ihm klafft.
Er weiß, dass die Gedanken in ihrem Käfig herumflattern, also in seinem
Kopf, und wenn nur, selbst für einen Moment, das Haar nicht an seinem Platz ist, werden sie in alle Richtungen davonflattern, und der Körper, den sie verlassen, wird leer sein und sein Inhalt wird im Raum versickern, selbst in den kleinsten Zwischenräumen auf der Fläche unter seinen Füßen, egal wo er sich aufhält oder worauf er steht oder liegt, wo immer sich ein Zwischenraum findet, dorthin wird er verschwinden.

Rami Yulzari

Diese Beobachtung hat Rami Yulzari, ein Shiatsutherapeut aus Israel, sehr poetisch niedergeschrieben in einem noch nicht veröffentlichten Text „Pictures in a Treatment Room“. Sie kann uns eine erste Ahnung davon vermitteln, worum es bei der Sprache der Seele geht: Die Seelensprache gebraucht neben Worten noch viele andere Zeichen und Symbole – hier zum Beispiel eine Geste. Sie ist oft völlig unbewusst, kann aber auch bewusst gemacht und bewusst eingesetzt werden. Sie folgt nicht unbedingt der Logik von Ursache und Wirkung. Ihre Bedeutung hat viele Schichten und Facetten. Dass der Mann in seinem Alter noch so viele Haare hat, wird zunächst einmal physiologische Gründe haben. Und dass er seine Frisur immer wieder ordnet, hat vielleicht auch den Aspekt, dass ihm die Haare ins Gesicht hängen und stören oder dass er „ordentlich“ aussehen möchte. Und gleichzeitig kann diese Geste noch auf vieles andere aus dem Seelenraum des Mannes hinweisen, vielleicht seine Angst davor, den Halt zu verlieren und sich in Nichts aufzulösen. Und der „Zuhörer“ der Sprache folgt in seiner Wahrnehmung seinen eigenen Assoziationen und nimmt jeweils nur einen – vielleicht sogar verzerrten – Ausschnitt wahr von dem, was die Seele gerade zum Ausdruck bringt.

Auch wird schon hier sichtbar, dass die Sprache in zwei Richtungen wirkt. Sie bringt etwas Seelisches zum Ausdruck, hier in Form einer Geste, die auch vom Beobachter wahrgenommen und gedeutet wird. Gleichzeitig wirkt etwas Äußeres, das geordnete Haar, auf die Seele ein, bringt ihr vielleicht Sicherheit. Später wird dies an weiteren Beispielen, z.B. (inneren und äußeren) Bildern oder Musik noch deutlicher werden.

Was soll „Seele“ bedeuten in diesem Zusammenhang?

Ganze Bibliotheken füllen sich mit Abhandlungen zu diesem Thema, doch führen akademische Auseinandersetzungen uns hier wirklich weiter? Ich möchte den Begriff Seele bewusst vage lassen, weist er doch auf etwas hin, das sich scharfen Eingrenzungen entzieht.
Umgangssprachlich bedeutet „Seele“ meist die Gesamtheit der emotionalen und geistigen Vorgänge in einem Menschen. Gleichzeitig weist der Begriff oft auf eine Instanz hin, die all diesen psychischen Vorgängen zugrunde liegt, ihnen Struktur gibt und verbunden ist mit transpersonalen Bereichen, also Bereichen, die über den einzelnen Menschen hinausreichen. Lassen wir es dabei bewenden und wenden uns zunächst weiter den Ausdrucksformen des Körpers zu.

 

Körper und Seele im Wechselspiel

Wir alle kennen solche Vorgänge: Es ist früher Abend. Das zweijährige Kind, das den ganzen Nachmittag voll Energie und bester Laune war, fängt an zu quengeln. Alles ist nicht richtig, es verlangt nach etwas zu trinken, nein, kein Wasser, sondern Saft, nein, keinen Orangensaft, sondern Apfelsaft, nein, nicht aus dem Glas, aus der Tasse, der Apfelsaft schmeckt gar nicht….. Ja: Müde Menschen werden oft unleidlich.

Oder: Sie haben lange nichts gegessen. Nun müssen Sie noch einkaufen. Sie laufen ziellos durch den Supermarkt und können sich nicht entscheiden, was Sie heute Abend kochen wollen. Vielleicht packen Sie sich den Einkaufswagen wahllos randvoll mit Dingen, die Sie gar nicht brauchen und normalerweise nie kaufen würden. Ja: Unterzuckerung vermindert die Entscheidungsfähigkeit.

Oder: Ein bisher völlig gelassener Mensch entwickelt eine Überfunktion der Schilddrüse. Er wird immer ungeduldiger, reizbarer und schimpft über jede Fliege an der Wand.

An diesen Beispielen zeigt sich, wie stark körperliche Vorgänge auf das Seelenleben einwirken. Doch dies soll hier nicht unser vorrangiger Fokus sein, denn es geht uns ja um die Sprache der Seele, also die Frage, wie die Seele sich über körperliche Vorgänge zum Ausdruck bringt. Dabei wissen wir genau, wie wechselseitig und wie wenig zu trennen die Beziehungen zwischen Körper und Seele sind.
Schauen wir uns nun die Körpersprache etwas genauer an.

Schon in der Körperhaltung, in der Körperspannung und im Tempo der Bewegungen zeigt sich dem genauen Beobachter, wie es einem Menschen gerade geht. Läuft der Mensch krumm oder aufrecht? Hält er den Kopf schief, gebeugt oder hoch? Ist der Körper angespannt oder schlaff? Sind die Bewegungen schwungvoll, langsam, zügig, fahrig oder zitterig? Ist die Armhaltung verschränkt oder offen? Sitzt er breitbeinig da oder mit verschränkten Beinen?

Viele Forschungsergebnisse weisen auf die Bedeutung der Körpersprache hin. Anfang der 1970er Jahre zum Beispiel stellte der amerikanische Psychologe Albert Mehrabian die 7-38- 55-Regel auf. Sie besagt, dass nur 7% einer Information den Empfänger über die mündliche Sprache erreicht, 38% über die Qualität der Stimme und 55% über die Körpersprache. Dieses Wissen wird in Bewerbungs- und Verkaufsgesprächen, Reden, Verhören usw. oft bewusst oder auch unbewusst eingesetzt.

Ganz wichtig zu bedenken ist Folgendes: Für die Körperhaltung gilt wie für jede andere Ausdrucksform, für jedes Symbol: Die Bedeutung ist nicht eindeutig festgelegt. Zwar werden kulturübergreifend viele Körperhaltungen, Gesten, Gesichtsausdrücke oft ähnlich verstanden und haben auch genetische Komponenten, doch für den einzelnen Menschen kann einem bestimmten Körperausdruck eine ganz persönliche Bedeutung zukommen, die sich vom allgemeinen Verständnis klar unterscheidet.

So gilt es immer genau hinzuspüren und nachzufragen: Wie geht es dir, wenn du so gebeugt sitzt, wenn du so breitbeinig dastehst, wenn du denn Kopf schief hältst? Was würde diese Haltung sagen, wenn sie sprechen könnte? Versuche einmal, diese Haltung zu übertreiben. Wird etwas deutlich? Interessant kann es auch werden, wenn man versuchsweise einmal die Haltung ändert und nachspürt, ob und wie sich das auf Stimmung oder Energetik auswirkt.

Auch „Gesten sind sichtbar gewordene Gedanken,“ sagt der Pantomime Marcel Marceau. Ich würde den Satz gerne ausweiten auf Gefühle, Stimmungen und Visionen. Sie können bewusst als Signal eingesetzt werden, z.B., wenn man jemanden herbeiwinkt, oder unbeabsichtigt Informationen übermitteln, z.B. wenn jemand gähnt oder sich am Kopf kratzt.

Gesten sind stark kulturell überformt und führen leicht zu Missverständnissen. Bilden wir mit dem Daumen und dem Zeigefinger ein O, so bedeutet das in Nordamerika und auch in Deutschland „okay“, in Frankreich hingegen „null“ oder „wertlos“, in Japan ist es ein Zeichen für „Geld“. Hüten sollte man sich vor dieser Geste in Russland oder in Lateinamerika. Dort hat sie einen stark sexuellen Bezug.

Und ein und dieselbe Geste kann je nach Situation oder Person ganz Unterschiedliches zum Ausdruck bringen. Das Zurechtrücken der Haare im Beispiel oben kann insbesondere bei Frauen auch ein Flirtsignal sein oder einfach eine Abfuhr von Spannungen wie es bei kleinen Kindern das Daumenlutschen ist.

Auch zum Verständnis von Gesten trägt es bei, wenn man ihnen einmal nachspürt oder wenn man sie versuchsweise kräftig übertreibt.

Emotionspsychologen wie Paul Ekman und Carrol Izard sind sich heute weitgehend einig, dass es grundlegende Emotionen gibt, deren mimischer Ausdruck weltweit und kulturunabhängig verstanden wird. Dazu gehören Trauer, Wut, Freude, Ekel, Überraschung, Verachtung und Angst. Der Ausdruck ist genetisch verankert und braucht nicht gelernt zu werden. Dennoch gibt es auch hier kulturelle und individuelle Überformungen. Denn es ist kulturell und individuell durchaus unterschiedlich, inwieweit eine Emotion ausgedrückt oder aber maskiert wird. Und dann findet man ja auch Mischungen von mehreren Emotionen, deren Ausdruck sich gegenseitig überlagert, vermischt oder gegenseitig aufhebt.

Abbildungen zum Ausdruck grundlegender Emotionen finden sich in dem Buch „Die Emotionen des Menschen“ von Carrol Izard, das ich vor vielen Jahren übersetzt habe. Hier sind einige Beispiele:

Um einen Gesichtsausdruck zu verstehen gibt es neben der genauen Beobachtung und dem Abgleich mit bisherigen Erfahrungen auch die Möglichkeit, ihn zu kopieren, evtl. zu übertreiben und nachzuspüren, welche Emotionen sich einstellen.

Wer sich noch genauer mit dem Thema Körpersprache befassen möchte, findet interessante Artikel und Links auf folgender Webseite:
https://www.dasgehirn.info/handeln/mimik-koerpersprache/reden-ohne-worte

Auch durch die Stimme kann sich die Seele bemerkbar machen. Die gleichen Worte können eine unterschiedliche Bedeutung haben, je nach Lautstärke, Stimmlage, Geschwindigkeit, Betonung usw. Auch können ganz unterschiedliche Facetten eines Menschen zum Ausdruck kommen, je nachdem, welche Sprache er benutzt: Deutsch, Italienisch, Japanisch, Arabisch…. Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen Bedeutungsräumen, die Wörter in unterschiedlichen Sprachen erschließen, sondern auch an der Sprachmelodie und an der in der jeweiligen Sprache üblichen Lautstärke.

Dem, was sich über die Stimme zum Ausdruck bringen möchte, kann man sich zum Beispiel über das Kauderwelsch nähern: Versuchen Sie einmal, das was Sie gerade bewegt, ohne Worte in Kauderwelsch auszudrücken. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie selbst und auch Ihr Gegenüber die Bedeutung dessen, was gesagt werden will, durchaus erfassen, auch wenn die einzelnen Worte oder Sätze keinerlei Inhalt haben.

Um Ihnen einen Zugang zu dem Thema Körperempfindungen und Körpersymptome als Ausdruck der Seele zu ermöglichen, schlage ich Ihnen eine kleine Übung vor:

Machen Sie es sich bequem und denken Sie an einen beliebigen Menschen aus Ihrem Bekanntenkreis, der in Ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt. Nennen wir ihn Christoph. Zoomen Sie diesen Menschen und Situationen, die Sie mit ihm verbinden, so nah wie möglich heran. Und nun achten Sie auf das Körpergefühl, das sich bei Ihnen einstellt, sozusagen die innere Aura. Dieses Gefühl umfasst „alles über Christoph“. Wiederholen Sie diesen Vorgang mit einem anderen Menschen, vielleicht Rita. Achten Sie auch hier auf das Körpergefühl von „alles über Rita“, das bei Ihnen entsteht. Sie werden feststellen, dass es dabei nicht um eine Aneinanderreihung von einzelnen Daten geht wie Körpergröße, Augenfarbe oder Stimme, sondern dass dieses Gefühl alles umfasst, was Sie momentan bezüglich Rita oder Christoph wissen und fühlen.

Diese Übung stammt von Eugene Gendlin. Er nennt das allgemeine, umfassende Körpergefühl, welches sich zu einer Situation, einer Person oder einem Problem einstellt „Felt Sense“ und hat eine Methode entwickelt, mit diesem Körpergefühl umzugehen und als Ausdruck der Seele zu verstehen. Diese Methode der Selbstwahrnehmung nannte er Focusing.

Ganz kurz umrissen geht es beim Focusing um 6 Schritte:

  1. Einen Freiraum schaffen: Fragen Sie sich, was Sie im Leben gerade besonders beschäftigt oder prüft. Lassen Sie spontan aufsteigen was sich als erstes meldet. Sagen Sie zu sich selbst: “Ja, diese Angelegenheit gehört auch zu meinem Leben, aber für einen Moment setze ich sie erst einmal ab“. Schaffen Sie innerlich einen kleinen Abstand zwischen sich und der Angelegenheit, vielleicht indem sie sie vor ihrem inneren Auge gut sichtbar in ein Regal stellen. Gibt es mehrere Dinge, die auftauchen, verfahren Sie damit der Reihe nach genauso.
  2. Einen Felt Sense kommen lassen: Wählen Sie eine der Angelegenheiten aus, mit der Sie sich nun näher beschäftigen möchten und nehmen Sie das komplexe Körpergefühl wahr, das damit verbunden ist.
  3. Den Felt Sense beschreiben, einen „Griff“ finden: Was für ein Bild, Wort oder Satz entsteht aus diesem Körpergefühl? Oder gibt es vielleicht eine Geste oder ein Gesichtsausdruck?
  4. Genauern: Gehen Sie mit ihrer Aufmerksamkeit zwischen dem Körpergefühl und dem Bild/Wort/Satz hin und her, bis ein kleines körperliches Signal („Body Shift“) ihnen sagt, dass es genau passt.
  5. Hineinfragen: Nun lohnt es sich, direkt in den Felt Sense hinein offene Fragen zu stellen, ohne den Denkapparat großartig zu bemühen. Fragen könnten sein: „Was ist das Eigentliche an der Angelegenheit, der Situation, dem Problem….?“ „Was ist das Schlimmste daran?“
    „Was ist das Beste daran?“
    „Wenn das Gefühl/das Symptom, das Knie….. sprechen könnte, was würde es sagen?“
    „Was braucht das Gefühl/der Felt Sense?“
    „Was wäre ein guter erster Schritt?“
    Ein „Body Shift“ wird Ihnen sagen, welche Antworten aus einer tieferen Wahrheit aufgestiegen sind.
  6. Aufnehmen und tiefer werden lassen: Nun können Sie innehalten und das, was sich in dem Prozess gezeigt hat, erst einmal auf sich wirken lassen Mit welchem Bedürfnis sind Sie in Kontakt gekommen?

 

Traumtheater

Für C.G. Jung, den Begründer der analytischen Psychologie, war der Traum der Botschafter des Unbewussten schlechthin.

Welche Funktionen genau hat der Traum aus seiner Perspektive?

  • Der Traum kompensiert oder ergänzt, was im Leben nicht ausreichen vorkommt. Ein sehr friedlicher, bezogener Mensch träumt z.B. von einem Haifisch, der den Gegenpol der Aggression sichtbar werden lässt.
  • Im Traum reguliert sich die Persönlichkeit. Menschen, die am Träumen gehindert werden, sind spätestens nach drei Tagen wie „neben sich“. Wie sinnvoll es ist, mit seinen Träumen gut in Kontakt zu sein, zeigt ein Experiment am C.G. Jung Institut Los Angeles: Man untersuchte eine Gruppe von Menschen, die ihre Träume regelmäßig aufschrieben und sich ab und zu an sie erinnerten, ohne sie weiter zu deuten. Es zeigte sich, dass diese Gruppe seelisch erheblich ausgeglichener war als die Teilnehmer der Kontrollgruppe, die ihre Träume nicht aufschrieben und ihnen keine Beachtung schenkten.
  • Der Traum bildet die seelische Gesamtlage ab. Wer kämpft gerade mit wem; wer bewegt sich von A nach B; welche Prozesse finden aktuell statt?

 

Aus welchen Quellen speist sich der Traum?

  • Aus dem persönlichen Unbewussten
  • Aus dem familiären Unbewussten: Der Traum kann die Dynamik im Familiensystem
    abbilden.
  • Aus dem kollektiven Unbewussten: Menschen träumen über ihre persönliche
    Wahrheit hinaus etwas, das zum Zeitgeist passt und eine allgemeine Gültigkeit hat.
    Wie kann ich der Bedeutung eines Traumes erfassen?
    Einfache Möglichkeiten sind:
  • Den Traum aufschreiben und einfach auf sich wirken lassen
  • Freie Assoziation: Was fällt mir spontan ein zu dem Traum bzw. zu einzelnen Bildern?
  • Imagination: Den Traum neu bildhaft erleben, neu eintauchen.
  • Sich den Teil heraussuchen, in dem besonders viel Energie steckt, also der mich
    besonders berührt. Diesen genauer betrachten.
  • Identifikation: Sich in einzelne Symbole hineinversetzen, sie von innen fühlen, z.B.:
    ich als Auto/Schiff/Hans-Joachim…. Wie fühle ich mich? Was brauche ich? Wo soll es
    mit mir hingehen?
  • Energiemalerei: Sie kann besonders lohnend sein bei einem Traum oder einzelnen
    Symbol, zu dem man zunächst zu schwer Zugang bekommt.
    Vorsichtig sein sollte man meiner Meinung nach mit Symbollisten und Traumbüchern, die einem genau sagen wollen, welch Bedeutung dieses oder jenes Symbol genau hat. Bei allem Respekt vor der jahrhundertelangen Erfahrung mit vielen Symbolen: immer gilt es vor allem zu schauen: Was bedeutet dieses Symbol in diesem Augenblick für diesen einzelnen Menschen? Das kann von der kulturell überlieferten Bedeutung durchaus abweichen.

 

Im Schatten

Der Traum ist nicht der einzige Botschafter aus dem Unbewussten, dem Schattenreich, das die bewusste Wahrnehmung gerne ausblendet. Im Schatten liegen viele Bedürfnisse, Potenziale und Erfahrungen, die wir zumindest in ihrer barbarischen Form nicht annehmen wollen. Gelingt es uns aber, sie wahrzunehmen und in angemessener Form zu integrieren, gewinnen wir erheblich an Lebendigkeit. Im Schatten liegt oft, was in meinem Leben nicht ausreichend Raum hat. Sehe ich es bei anderen Menschen, regt es mich leicht auf oder aber es fasziniert mich. Häufig ist der Schatten ambivalent. Das, was ich in seiner übersteigerten Form ablehne (z.B. Rücksichtslosigkeit), fasziniert mich in seiner abgemilderten Variante (z.B. Souveränität). In jedem Fall kann es eine befreiende und vitalitätssteigernde Medizin sein, aus den Potenzialen des Schattens zu schöpfen.

Wenn man seinen Schatten annimmt ist es, als ob man von einer Zweizimmerwohnung in eine Fünfzimmerwohnung zieht.

Ken Wilber

 

Welche Wege des Schattenerforschung gibt es noch, abgesehen von der Beschäftigung mit Träumen?

  • Witze zum Beispiel bieten einen guten Zugang zum Schatten. Welche Witze erzähle ich gern? Welche lehne ich ab? Themen sind oft Sexualität, Promiskuität, Dummheit, Brutalität, Langsamkeit. Menschen, die ihre eigene Dummheit fürchten wie der Teufel das Weihwasser, erzählen zum Beispiel oft besonders gerne Witze über Ostfriesen oder Mantafahrer.
  • Eine gute Spur ist immer, dem nachzugehen, was mich an anderen Menschen berührt, sowohl sehr positiv als auch sehr negativ. Verhält sich jemand zum Beispiel besonders Raum greifend und dominant, dann kann ich das zur Kenntnis nehmen, ohne mich weiter damit zu beschäftigen. Dann ist es für mich persönlich kein Thema. Ich kann mich aber auch heftig darüber aufregen oder aber eine große Bewunderung verspüren. In diesem Fall könnte ich einmal der Frage nachgehen, ob ich mir selbst in meinem Leben ausreichend Raum nehme und auf die Bereiche Einfluss nehme, die für mich wichtig sind. Ist dem nicht so, ist es sehr wahrscheinlich, dass ich unbewusst zu dem Mittel der Projektion greife.
  • Einen besonders sensiblen Umgang erfordert die Erforschung dessen, was mir im Außen als „Schicksal“, als „sinnvolle Zufälle“ oder an als Synchronizitäten (Dinge, die gleichzeitig passieren, ohne in einem ursächlichen Zusammenhang zu stehen) entgegenkommt. Beispiel: Ich habe einen wichtiges Bewerbungsgespräch. Als ich losfahren will, ist kein Benzin mehr im Tank, dann stehe ich im Stau und schließlich finde ich keinen Parkplatz. Wenn ich dem nachgehe, kommt es einzig und allein darauf an, welche Bedeutung dieser Aneinanderreihung von Hindernissen für mich selbst stimmig erscheint, und das kann ich weniger auf logischem Weg in Erfahrung bringen als über das Bauchgefühl. Kluge Meinungen von außen können manchmal einen Hinweis bieten, oft führen sie aber auf eine falsche Fährte oder verwirren nur.

 

Kreativer Ausdruck

Gibt es weitere Möglichkeiten für die Seele, sich zu äußern? Nun, manch einer kann weniger im direkten Gespräch zum Ausdruck bringen, was ihm auf der Seele liegt, als mit Hilfe von Metaphern, Märchen oder Gedichten. Für wieder andere ist die Sprache überhaupt nicht das geeignete Medium, wohl aber die Musik, die Malerei, die Bildhauerei oder der Tanz. Und wieder gibt es hier zwei Wege der Kommunikation. Die Seele kann diese Medien nutzen, um sich zu äußern. Oder ich kann diese Kunstformen auf mich wirken lassen und dem nachspüren, was sie in mir berühren und in Bewegung bringen.

Lesen Sie doch bei Gelegenheit noch einmal eines Ihrer Lieblingsmärchen. Welche Szene oder welche Figur berührt Sie besonders? Welche ist Ihnen eher gruselig? Haben Sie Lust, sich dieser Figur für einen Moment zu identifizieren? Wie ist das so als Dornröschen oder als Rumpelstilzchen, als Jäger oder als Zwerg? Welches Bedürfnis verspüren Sie dann? Welches Thema oder Lebensmotto? Ich persönlich war immer wieder fasziniert von Rotkäppchen, das die Warnungen der Mutter in den Wind geschlagen und durchaus einmal vom Weg abgegangen ist. Oder auch vom Jäger als ordnende, fürsorgliche Figur. Übungen dieser Art können zu erhellenden Erfahrungen oder Einsichten führen.

Auf ähnliche Weise kann man Musik, Malerei oder Fotografie nutzen. Man kann sich über Musik oder Malerei ausdrücken, man kann sich aber auch fragen: welches Musikstück oder welches Bild rührt mich irgendwie an? Welche Emotionen, welche Assoziationen, welche Gedanken steigen auf?

 

Erste Schritte

Eine Vielzahl von „Dialekten“ der Seelensprache habe ich Ihnen nun vorgestellt. Manche werden Ihnen leicht zugänglich sein, andere werden Sie kaum verstehen. Und die Liste lässt sich mit Sicherheit noch erweitern und differenzieren. Wie können wir diese Dialekte sinnvoll nutzen? Mein Vorschlag ist: Machen Sie es sich zunächst einmal zur Gewohnheit, denjenigen Dialekten immer wieder genau zuzuhören, die sie bereits gut verstehen. Dem einen sagen Körperempfindungen viel, dem anderen Träume oder das Minenspiel. Schon so kann sich Ihr eigener Erfahrungsraum enorm erweitern und Sie erfassen auch schneller, was andere Menschen wirklich ausdrücken möchten. Nach und nach experimentieren Sie dann mit weiteren Dialekten, alleine oder mit Unterstützung durch einen Therapeuten.

Je besser wir der Seele zuhören können, desto klarer verstehen wir, wer wir wirklich sind, desto weniger leben wir mit unserer Alltagspersönlichkeit an unserer Seele vorbei und desto tiefer wird der Kontakt zu anderen Menschen.

Gute Gründe, der Seele und ihren Ausdrucksformen Aufmerksamkeit zu schenken. Dafür braucht es Entschleunigung und Stille.

 

Der Mensch ist immer mehr, als er von sich weiß. Er ist nicht, was er ein für allemal ist, sondern er ist ein Weg.

Karl Jaspers

 

Autorin: Barbara Murakami, Shiatsupraktikerin und -lehrerin in Düsseldorf, www.shiatsu-murakami.de